Einer für alles
Im Burgdorfer Restaurant Zur Gedult hat sich Lukas Kiener kontinuierlich in die Sterne-Liga gekocht. Jetzt nimmt der Einzelkämpfer das nächste Ziel ins Visier.
«Mein Kochstil ist ein bisschen wie ein Chamäleon.»
Ihr Vater war Küchenchef, Ihre Kindheit glich indes jener eines Diplomatensohns. Wie war das für Sie?
Dietmar Sawyere: Wir wohnten dort, wo mein Vater arbeitete. Ich kannte nichts anderes. Während meiner Schulzeit lebten wir in acht verschiedenen Ländern, und ich genoss es. Wenn man in unterschiedlichen Kulturen aufwächst, erweitert das den Geist. Meine Eltern pflegten zudem unsere Schweizer Wurzeln sehr bewusst. Ich hatte darum immer diesen Mix: Vor der Tür war Hongkong, Singapur oder London, zu Hause die Schweiz.
Das Kochhandwerk lernten Sie standesgemäss im legendären Savoy Hotel in London.
Das Savoy ist ein herausragendes Haus, aber zu meiner Zeit bewegte es sich nicht auf dem Höhepunkt seines kulinarischen Niveaus. In der Küche stand noch der mit Kohlen geheizte und von Escoffier gezeichnete Herd. Ich wechselte dann bald zu Zwei-Sterne-Koch Michel Bourdin ins Connaught Hotel. Es war eine aufregende Zeit in London. Ich liebte die Produkte, die Details und die Exaktheit. Zudem hatte Anton Mosimann gerade das Dorchester übernommen und eine neue Art zu kochen in die Hauptstadt gebracht.
Trotzdem verliessen Sie London für Neuseeland und später Australien, das waren damals wohl kulinarische Trockengebiete.
Es gab keine Michelin-Sterne, aber dafür insbesondere in Neuseeland eine grossartige Restaurantszene. Ich war wirklich überrascht, als ich das zum ersten Mal sah. Neuseeland und auch Australien haben historisch bedingt kein echtes kulinarisches Erbe. Anders als im Europa der Achtzigerjahre ging es in den Gourmetlokalen dafür sehr entspannt zu und her. Und wir Köche hatten viele Freiheiten.
Inwiefern?
Die fünf besten Restaurants in Tokio sind japanisch, in Paris sind sie französisch, aber in Sydney sind die fünf besten Lokale der Stadt total unterschiedlich. In Australien war die Akzeptanz immer viel grösser, unterschiedliche Küchen und deren Produkte zu mischen. Meine Kindheit in Südostasien half mir da viel. Heute ist das natürlich anders, die Menschen reisen oft, die Welt ist ein globales Dorf geworden. Aber noch vor 20 Jahren war es schwierig, in der Schweiz ein gutes asiatisches Restaurant zu finden.
Was halten Sie von Fusion-Küchen?
Ich bevorzuge Authentizität, um ehrlich zu sein. Ich besuche gerne ein japanisches Restaurant in der Schweiz, aber die Küche muss echt sein. Das Kombinieren von Kochstilen ist, auch wenn ich das selbst viele Jahre gemacht habe, nicht mehr so meine Sache. Ausser das Gericht ist aussergewöhnlich gut. Ich finde, Essen sollte ehrlich sein, im Geschmack und in seiner Art. Dann spielt es keine Rolle, ob man in einer Strassenküche oder in einem Drei-Sterne-Laden isst. Was ich damit sagen will: Jedes Restaurant sollte einen Fokus haben.
Welchen kulinarischen Fokus hatte das The Chedi, als Sie es 2015 übernahmen?
Das Hauptrestaurant bot zwei Menüs an, ein asiatisches sowie ein europäisches, das aber de facto auf einer europäisch-asiatischen Fusion-Küche basierte. Dazu gab es ein japanisches Restaurant, ebenfalls mit einer Fusion-Küche. Das Haus glich in seiner Struktur einem asiatischen Fünf-Sterne-Hotel, in dem Konzeptrestaurants die Regel sind. Das funktioniert in Schanghai, aber nicht in Europa. Hier erwartet der Gast in so einem Haus ein Gourmetlokal. Und wir hatten keins.
Wie gingen Sie vor?
Zuerst trennten wir die Küchen im Hauptrestaurant auf, in einen asiatischen und einen schweizerisch-europäischen Teil. Wenn sich jemand ein Cordon bleu wünscht, bekommt er das, und zwar das beste, schliesslich sind wir ein Fünf-Sterne-Hotel. Auf der anderen Seite musste unsere asiatische Küche authentisch sein. Und für das japanische Restaurant schlug ich der Hotelleitung ein neues Konzept vor, basierend auf der Kaiseki-Küche.
Worauf Sie als Europäer mal eben ein Kaiseki-Menü aus dem Boden stampften?
Es gibt tatsächlich nur eine Handvoll Europäer, die mit einem japanischen Restaurant einen Michelin-Stern halten. Zum Glück hatte ich schon immer eine grosse Leidenschaft für diese Küche und kenne das Land gut. Seit meiner Zeit in Singapur bin ich zudem mit dem Drei-Sterne-Koch Yoshihiro Murata befreundet. Aber ich hätte auch ein chinesisches, ein thailändisches oder ein französisches Gourmetlokal eröffnen können.
Wie authentisch ist die Küche im The Japanese?
Zu Beginn hatten wir zwei Kaiseki-Menüs, ein modernes und ein klassisches. Allerdings ist die klassische Kaiseki-Küche nicht wirklich geeignet für den europäischen Gaumen.
Warum?
Bei einem gepickelten Fisch etwa erwartet der Europäer etwas Saftiges, Feuchtes und Weiches. Für den Japaner muss ein gepickelter Fisch aber steinhart und trocken sein. Das schmeckt Europäern nicht, auch wenn es ein perfekter japanischer Gang ist.
Wie gehen Sie damit um?
Ähnlich wie vor 25 Jahren im Regent Hotel in Bangkok. Das Restaurant lief nicht, da die Thais zwar in einem Fünf-Sterne-Hotel essen wollten, weil es ein Statussymbol war, sie der französischen Küche aber wirklich nichts abgewinnen konnten. Also nahmen wir die thailändische Küche und liessen sie europäisch ausschauen. Zum Beispiel transformierten wir eine Tom-Young-Goong-Suppe in eine Consommée oder wir tauchten das Steak zuerst in Sojasauce, bevor wir es grillierten. Wir kochten mit asiatischen Aromen, aber auf europäische Art. Hier machen wir nun das Gegenteil.
Also doch nicht total authentisch?
Am Ende gehts immer darum, die Gäste glücklich zu machen. Die Küche ist auf den Europäer zugeschnitten, bleibt aber den japanischen Aromen und Prinzipien treu. In der japanischen Küche gehts um die Balance. Sie erfordert weniger Komponenten als die europäische und ist ziemlich vereinfacht. Das hat historische Gründe. In Japan war Treibstoff immer knapp, darum wurde so viel roh oder nur ganz kurz gekocht serviert.
Was halten eigentlich Japaner von Ihrer Küche?
Prinzipiell lassen sie sich darauf ein und geniessen das Essen. In den letzten vier Jahren gabs nur einen Gast, der unseren Signature Dish, den Miso Cod, klassischer wünschte. Das war eine Sache von zehn Minuten und kein Problem. Wir verarbeiten auch lokale Süsswasserfische wie Zander oder Forelle. Und es gibt ein Egli-Tempura, also eigentlich ein Knusperli. Für viele Japaner sind diese einheimischen Produkte neu und deshalb spannend.
Wie beschreiben Sie Ihren Kochstil?
Der hat sich ständig verändert, ein bisschen wie ein Chamäleon. Ich wurde einst in der französischen Küche ausgebildet. Es ist wie mit der Musik: Wenn man Rockmusiker werden will, ohne die Basis der klassischen Musik zu verstehen, wirds hart. Die Grundlagen des Kochens sind Dämpfen, Pochieren, Kochen, Braten und Frittieren. Danach spielt es keine so grosse Rolle mehr, ob man japanisch, französisch oder chinesisch kocht. Ich passe mich gerne an, aber was ich mache, muss echt sein, nach meiner eigenen Definition.
Seit letztem Jahr leiten Sie zusätzlich die 16 Gastronomiebetriebe Mountain Food der Ski Arena Andermatt-Sedrun. Welche Expertise bringen Sie in diesem Gebiet mit?
Keine, für mich war das komplett neu. Aber manchmal ist es besser, jemanden zu nehmen, der das nicht kennt, weil er die Dinge unvoreingenommen anschaut. Der Markt verändert sich in Andermatt. Früher kamen mehrheitlich Tagesgäste hierher, die einen Teller Pommes oder Knusperli bestellten. Wir versuchen nun, jedem Restaurant auf oder an der Piste eine eigene Identität zu geben. Wir wollen nicht überall das Gleiche servieren.
Als Dietmar Sawyere (56) drei Jahre alt war, verliess er mit seinen Eltern und seinem Bruder die Schweiz. Die Familie wohnte jeweils in der Nähe des Fünf-Sterne-Hotels, in dem Sawyeres Vater als Küchenchef wirkte, unter anderem in London, Singapur und Hongkong. Als 16-Jähriger begann Sawyere seine Kochausbildung im Savoy Hotel in London, anschliessend wechselte er ins Hotel Connaught in die damals mit zwei Sternen dotierte Küche von Michel Bourdin. Dort wurde er 1982 zum Young Chef of the Year gekürt. 1983 eröffnete er in Auckland das Restaurant Top of the Town im Hyatt Hotel und wurde im gleichen sowie im darauf folgenden Jahr als Neuseelands Chef of the Year ausgezeichnet. Es folgten Stationen für die Hotelgruppe Regent International in Hongkong, Bangkok und Sydney. Dort eröffnete Sawyere 1993 das Forty One Restaurant, mit dem er in 18 Jahren insgesamt 45 Auszeichnungen, unter anderem Best Restaurant oder Best Wine List einheimste. Zwischenzeitlich betrieben Sawyere und seine Frau gleichzeitig Restaurants in Auckland, Singapur und Sydney. 2013 kehrte das Paar mit inzwischen drei Kindern in die Schweiz zurück. Dietmar Sawyere übernahm die Küchenleitung des Zürcher Hotels Widder, 2015 folgte das Engagement als Executive Küchenchef des Fünf-Sterne-Hotels The Chedi in Andermatt. Seit letztem Jahr konzentriert er sich hier auf das mit einem Stern ausgezeichnete Gourmetlokal The Japanese und berät das Unternehmen gleichzeitig im Aufbau der Pistengastronomie der Ski Arena Andermatt-Sedrun.
The Chedi Andermatt, Gotthardstrasse 4, 6490 Andermatt, 041 888 74 88, www.thechediandermatt.com
Das Fünf-Sterne-Hotel The Chedi Andermatt ist Teil des Tourismusprojekts Andermatt Swiss Alps des ägyptischen Investors Samih Sawiris. Einfach erklärt, entsteht in Andermatt ein neuer Dorfteil (Andermatt Reuss). Das 2017 von Gault & Millau zum Hotel des Jahres gekürte The Chedi ist dessen Herzstück. Darum herum sollen in den nächsten Jahren weitere Betriebe entstehen, darunter ein Familien-, ein Boutique- und ein Golfhotel. Letzten Dezember eröffnete bereits das Vier-Sterne-Hotel Radisson Blu. Ebenfalls zum Projekt gehören 42 Apartmenthäuser in Andermatt (wovon zehn bereits gebaut sind), eine Konzerthalle, ein Golfplatz sowie die Ski Arena Andermatt-Sedrun mit neu 120 Pistenkilometern und insgesamt 16 Gastronomiebetrieben unter dem Brand Mountain Food.