«Ich erkannte, was Heimat bedeutet, wenn man flüchten muss.»
Was ist denn nun Heimatküche?
Für mich ist es einerseits das, was ich finde, wo ich lebe. Andererseits es ist der Ort, an dem ich emotional und geschmacklich zuhause bin.
Das müssen Sie erklären.
Lassen Sie mich ausholen: Ich arbeitete über 20 Jahre als Sozialpädagogin, hauptsächlich mit männlichen Jugendlichen zwischen 14 und 21 mit Integrationsproblemen. Elterngespräche waren problematisch, viele Eltern kamen nicht zu uns ins Büro, sie sprachen kaum Deutsch, hatten Angst vor Autoritäten respektive Behörden und wussten nicht, was die offene Jugendarbeit eigentlich ist. Ich bat also die Jugendlichen, ihre Mütter zu fragen, wie man beispielsweise Börek zubereitet – und liess mir das bei ihnen zuhause zeigen. Das war super: Ich lernte die Balkan-, aber auch die iranische oder die libanesische Küche in ihrer ganzen Vielfalt kennen, während ich mit den Müttern über die Probleme ihrer Söhne sprechen konnte. Die eigentliche Folge des Ganzen ist nun aber, dass ich für mich herausfand, dass auch der Balkan meine geschmackliche Heimat geworden ist – in der Art, wie ich zum Beispiel Gewürze kombiniere.
Sie erkannten, dass Sie im Balkan zuhause sind?
Nun ja, ich hatte mich so lange mit den Jugendlichen und ihrer Lebenswelt beschäftigt, dass ein Teil ihrer Kultur in mich übergegangen war: auch Begrifflichkeiten wie Ehre und Stolz. Oder Rache. Das färbte schon ab. Und ich erkannte, was Heimat heisst, wenn man flüchten muss: Was man mitnimmt, was übrig bleibt. Essen, zum Beispiel.
Wie war das Essen in Ihrer Kindheit?
Ich wuchs in der Nähe von Sternenberg im Zürcher Oberland auf, auf dem Bauernhof nebenan lebten Andreas und Daniela Ott, Pioniere der biodynamischen Landwirtschaft. Meine Mutter kaufte im Bioladen ein, es gab Harmona-und Demeter-Essen. Im Prinzip wuchs ich makrobiotisch auf. Ich war jedoch sportlich unterwegs und brauchte Eiweiss. Deshalb fing ich mit 13 an, in der Dorfmetzg zu arbeiten: In der Nacht auf Samstag wurstete ich jeweils, mittwochs war Ausbeinen angesagt. Die Ferien verbrachte ich im Landdienst im Schächental, wo ich mit den Bäuerinnen kochen lernte.
Das sind starke Prägungen.
Definitiv, und in der Kunst wie beim Kochen ist es wichtig, dass man sich selbst verorten kann. Die Vielfalt der Getreidearten etwa musste ich nicht entdecken, die kannte ich als Kind schon. Aber ich wills ja immer genau wissen. In meiner Forschung bin ich eine Pedantin.
Hat Ihre Beschäftigung mit Kunst Ihren Zugang zum Kochen verändert?
Das hat sie definitiv. Ich kochte immer gern und viel, aber als Forschungselement nutze ich es erst seit meiner Ausbildung in Kunst. Ich bin analytischer geworden, in meiner Herangehensweise, aber auch in Bezug auf die Geschmäcker und ihre Kombination. Ausserdem habe ich als Künstlerin inhaltlich und ästhetisch viel mit Fleisch zu tun – obwohl ich persönlich kein Riesenfan davon bin.
Sie halten Hunde, Katzen, Ziegen, Schafe und Hühner – und scheinen regelrecht vernarrt in Ihre Tiere.
Wenn ich mit unseren Geissen und Hunden spazieren gehe, bin ich einfach glücklich, ja, und ich kann auch nicht mehr selber metzgen. Ausserdem tun mir die Tiere auf konventionellen Schlachthöfen extrem leid, vor allem die alten Nutztiere, die so lange dienen, ein Kalb nach dem anderen rausdrücken – und dann getötet werden. Damit kann ich nicht umgehen. Und weil ich verstehen möchte, warum, erforsche ich es, erst auf der persönlichen Ebene, dann im gesellschaftlichen Kontext. Deshalb begann ich, alte Tiere zu verwerten. Ausserdem kaufe ich viel Wild aus den Wäldern der Umgebung oder verwurste road kill. Ich versuche, Essen mit den gesellschaftlichen Fragen, die mich umtreiben, zu verbinden.
Und Sie gehen beim Kochen gern in die Extreme.
Das ist wahr. Ich mache keine liebliche Küche und bin in meinen Geschmäckern und mit den sehr bitteren Komponenten, die ich mag, eher krass. Man spürt auch meinen Hang zur Balkanküche, zu den Gewürzen, zu den starken Aromen. Da bin ich zuhause. Und von Feuer, von guter Kohle und von Rauch bin ich richtiggehend angefressen. Mich interessieren die archaischen, handwerklichen Prozesse – vor allem, wenn sie von einer Frau gemacht werden.
Warum?
Männer machen oft so ein Affentheater.
Das ist jetzt aber ziemlich männerfeindlich.
Ist aber so. Gerade in der Gastrobranche gibts genügend Beispiele. Wenn ich eine Blutwurst von alten Kühen auftische und dann glaubt einer, mir unaufgefordert erklären zu müssen, die sei falsch zubereitet ... Ich kann es nicht haben, wenn einer in den Chnächt kommt und sich stundenlang aufplustert. Aber es gibt natürlich auch Männer, die ich sehr toll finde.
Sie polarisieren gern?
Ach, wir Frauen mussten uns 2000 Jahre lang mehr als genug von Männern die Welt erklären lassen. Da darf ich jetzt auch mal was sagen.
Sie bewegen sich ja in recht unterschiedlichen Welten, beschäftigen sich in der Kunst mit Ethik und Moral, kochten im Chnächt aber auch mal für Vertreter der Pharmabranche. Wie geht das?
Problemlos. Meine drei Grundsätze gelten für alle: Ich verdieneimmer gleich viel, will eine Carte blanche und mit meinen eigenen Leuten arbeiten. Und wer im Chnächt ein Privatessen buchte, durfte jeweils einfach wählen, von welchem Tier das Fleisch stammen sollte – mehr nicht.