Aufgebrüht

Koffeinfrei: Fluch oder Segen?

Das Thema Kaffee bietet sich für stundenlanges Philosophieren, Sinnieren und Streiten geradezu an. Nur schon der Röstgrad des geliebten Muntermachers sorgt für hochrote Köpfe, die Diskussion ums Schoggipulver auf dem Cappuccino führt zur Weissglut – und der Frage, wie viele Tassen pro Tag gesund seien, widmen sich Expertinnen und Experten seit über zwei Jahrhunderten in diversen Gesundheitsratgebern. Als wäre das nicht genug, ist inzwischen ein weiteres Thema für Schelte aufs Parkett ge­kommen: der koffeinfreie Kaffee.

Um 1900 war Kaffee in der Schweiz bereits weit verbreitet und wurde in der ganzen Gesellschaft geschätzt. Doch die immer wieder auftauchende Kritik am schädlichen Koffein trübte die Stimmung. So war auch der Bremer Kaffeehändler Ludwig Roselius davon überzeugt, sein Vater sei an einer Koffeinver­giftung gestorben. Deshalb entwickelte er ein Verfahren, das dem Kaffee den vermeintlichen Giftstoff entzieht. Im Zuge dessen gründete Roselius nicht nur die erste Kaffeefabrik Europas, sondern auch die erste, die das nicht mehr wegzudenkende Morgengetränk koffeinfrei anbot: Kaffee Hag.

Dabei stand der gesundheitliche Aspekt über dem geschmack­lichen. Denn beim Entkoffeinieren wird nicht nur das Koffein entzogen, sondern gehen je nach Verfahren auch mehr oder weniger Öle, Fette, Säuren und Aromen verloren. Wer ums Eck denkt, erkennt eine weitere Komponente: Die heute angewen­deten vier Verfahren entziehen dem Kaffee nicht nur positive Eigenschaften, sondern ebenso negative. Die konsolidierte Branche, die von wenigen Firmen dominiert wird, kann also auch minderwertige Qualität verarbeiten – was unter anderem zum weitum gefürchteten Geschmack der Kaffeevariante führt.

Nichtsdestotrotz gilt: Gibt man gute Qualität rein, kommt gute Qualität heraus. Das wollte wohl auch Weihong Zhang beweisen, der im März den amerikanischen Brewers Cup gewann. Mit einem entkoffeinierten Arabica der Varietät Typica von der Finca Los Nogales in Kolumbien setzte er Decaf zum ersten Mal in der Geschichte ganz zuoberst aufs Podest und löste mit dem Sieg auch das Ticket für die Weltmeisterschaften im Brühen.

Aber nicht nur die Profis diskutieren rege. Die Nachfrage nach koffeinfreiem Kaffee steigt ganz allgemein. Wichtig dabei: Um das Maximum an Qualität zu bekommen, sollte man Decaf in kleinen Mengen kaufen, frisch mahlen und höher dosieren. Denn entkoffeinierter Kaffee altert aufgrund der gelösten Antioxidantien durch den Prozess schneller.

Decaf­-Trinkende seien die wahren Fans von Kaffee, heisst es – weil sie diesen nicht wegen des Koffeins, sondern wegen des Geschmacks geniessen. Wer dem Anspruch gerecht werden kann, steht künftig wohl ganz oben auf der Liste der Insider­-Tipps.

Nadja Schwarz

Kursleiterin Sensorik, Kaffeemacher GmbH
Ausgabe: Salz & Pfeffer 3/2024 / Datum: 04.06.2024


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