«Ab sofort berechnen wir 1€ Gebühr»

Gäste, die am Buffet zu viel auf den Teller schöpfen, um am Ende die Hälfte stehen zu lassen, gehören bestraft, findet ein Wirt – und berechnet Food Waste extra. Für Monsieur Tabasco ist klar: Das Ziel ist richtig, der Weg dorthin semidiskutabel.
Text: Monsieur Tabasco
Veröffentlicht: 04.06.2024 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2024

«Es geht ums Buffet, du Depp, da schöpfst du selber.»

Im Gasthaus zur Sonne in Westhausen, Baden-Württemberg, klebt ein laminierter Brief auf der Abdeckung beim Salatbuffet. «Liebe Gäste, leider müssen wir immer öfter feststellen, dass der Salat nicht leergegessen wird. Sie dürfen mehrmals zum Buffet gehen, aber bitte lassen Sie uns nicht mehr so viel Essen wegwerfen! Ab sofort berechnen wir 1 € Gebühr für die Salate, die beim Abräumen noch auf dem Teller bleiben.»

Zwar isst ohnehin niemand den Salat leer (was man leer isst, nennt man Teller), doch auch ohne diesen hübschen Schönheitsfehler werden die Historiker die Menschheitsgeschichte nicht gleich neu schreiben müssen. Der SWR-Tagesschau war diese «Strafgebühr am Salatbuffet» aber bedeutsam genug, um darüber zu berichten. 

Wer seinen Kulturpessimismus auffrischen möchte, dem seien die Posts auf Social Media empfohlen. Wie üblich sind die meisten Bockmist. Viele schreiben ja schneller, als sie denken. «Die Portionen sind eh immer zu gross», schreibt A. Und B antwortet: «Es geht ums Buffet, du Depp, da schöpfst du selber.» Dann gibts die Prophetinnen: «Wenns so anfängt beim Buffet, gibt es das bald auch auf normale Speisen.» Und die Pubertären: «Er soll besser kochen, dann fressen die Leute auch auf!» Und die Bockigen: «Wenn ich bezahle, ist es mein Eigentum!»

Zu erwähnen sind die Problemlöser: «Einpacken lassen.» Und die Mitdenkerinnen: «Dann schöpft sich künftig jeder einen Berg und bringen auch gleich das Tupper mit.» Die Schneeflöcklis haben es wie immer schwer: «Aber was, wenn es nicht lecker ist? Dann möchte ich doch nicht aufessen.» Die therapeutischen Antworten sind im Ansatz gelegentlich etwas rustikal: «Wie Tomate und Kopfsalat schmecken, wirst du wohl wissen, du dumme Nuss, und sonst probierst halt vorher eine Mini-Portion.»

Was erfreulicherweise fehlt: die Wutbürgerinnen und Spalttrolle. Man liest weder «Deutschland geht den bach runter!!!!» noch «müsste man auch bei der linksgrün- versifften ampel einführen scholz muss wegg!!!» Nun ja, wenn ein Wirt noch für «Fremdenzimmer» wirbt, ist er wohl nicht allzu linksgrünversifft, wobei das die rechtsbraunversifften Spalttrolle selten abschreckt, die bauen von fast jedem Thema eine Brücke zu ihrem Lieblingstrigger, denen geht es ja nur ums Anstacheln. Blöderweise ist in diesem Fall jene Moral, mit der die Linken sonst den Rechten auf den Sack gehen, selber rechts. Sie lautet: Man schöpft sich nur so viel, wie man auch essen mag. Das Feuer eröffnet hätten die Wutbürger nur, wenn der Wirt Formulierungen wie «Gäst*innen» sowie «Food Waste vermeiden» benutzt hätte.

Viel Zuspruch erhalten die Desillusionierten. «Dass sowas nötig ist, sagt schon viel über unsere Gesellschaft» erhält 250 Likes. Manche berichten Schauerliches von ihren USA-Reisen oder von den überladenen Tellern rotgebrannter Fettwänste in Badelatschen am All-inclusive-Buffet auf Malle. Viele finden die Gebühr okay, viele finden sie sogar zu tief. Einige berichten, in manchen asiatischen Restaurants sei eine solche Gebühr gang und gäbe.

Ist die Gebühr ethisch vertretbar? Ja. Ist sie marktwirtschaftlich? Verursacherprinzipiell ja. Ist sie juristisch durchsetzbar? Nein. Ist sie gutes Marketing? Mmmh, dünnes Eis. Lenkt sie Aufmerksamkeit auf ein wichtiges Thema? Sowieso. Kommt die Message an bei denen, die es nötig hätten? Seufz. Gibt sie der Wirtin ein gutes Gefühl? Kurzfristig ja, langfristig nun ja, es führen zwar viele Wege nach Rom, aber noch mehr Wege führen an Rom vorbei.

Last but not least: Vermeidet die Gebühr Food Waste? Er schmeisse «so gut wie nichts mehr» weg, sagt der Wirt zur Tagesschau, die Teller seien «jetzt» «meist» «ganz in Ordnung bestückt», den Euro Gebühr habe er seither «so gut wie nie» kassieren müssen. «So gut wie nie» ist ein Widerspruch in sich. Entweder er hat mal gebüsst, oder er hat nie. Ganz sicher hat er nie, sonst würde er nicht herumeiern. Schade, möchte man fast sagen: Man hätte zu gern erfahren, wann und bei wem und wie der Wirt umsattelte auf Polizist, Ankläger und Richter.

Das Ziel ist richtig, der Weg dorthin semidiskutabel. Unstrittig ist eins: Wer auf seinem Teller Gebirge zum Tisch trägt und dort dann die Hälfte stehen lässt, ist a) von widerwärtiger Arroganz oder b) dumm wie ein Block Margarine oder c) beides. Da fehlt jede Kinderstube und jeder Respekt vor den Nahrungsmitteln und vor der Köchin, die sie zubereitet und angerichtet hat. Ein Leser hat die Meldung kurz angebunden kommentiert: «Meine Grossmutter ist 1945 verhungert, ich kratze meine Teller leer.» Man könnte nun «Moralkeule!» bellen. Aber man könnte auch beginnen, das Masshalten als Teil einer respektvollen Erinnerungskultur zu betrachten.



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