Die abderwelteste Sau

Nicht Hirsch, nicht Ochs, nicht Bär: Wer sein Hotel nach dem Schwein benennt, muss Hintergedanken haben. Aber welche?
Text: Monsieur Tabasco
Veröffentlicht: 15.06.2021 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2021

«Mit anderen Worten: Die wussten, was sie taten.»

Abländschen. Was für ein Ortschaftsname. Grauenvoll. Ein Verb, eigentlich. Ich ländsche ab, du ländschst ab. 1681 nannte man den Flecken gar noch Anflentschen. Vermutlich wurden die Talbewohner damals gern von Bären gefressen. Abländschen ist der abderwelteste Weiler der Berner Gemeinde Saanen, 45 Autominuten und unzählige Kurven von Saanen Downtown entfernt, im Winter muss man sogar 42 Kilometer weit über den Jaunpass. Die Streusiedlung liegt in der Ecke Freiburg / Bern / Waadt im kleinen Jauntal, am Südhang jenes dolomitenschönen Gebirgszugs mit dem unsäglichen Namen Gastlosen, oder eben, im Freiburger Patois: Le Gachtiyè. Skilifte, Schule, Postauto sind Geschichte, und wenn der Pfarrer aus Saanen ein paar Mal im Jahr kommt und zehn Nasen ins Chirchli kriegt, ist er zufrieden, zehn Nasen sind ein Drittel der Bevölkerung, eine Traumquote, und wo Traumquoten locken, sollte man ein Hotel eröffnen, gell.

Das Weisse Kreuz ist seit Jahren zu. 2017 haben zwei langjährige Ferien-Abländschner es gekauft: Patrick und Géraldine Rolle, Transportunternehmer und Immobilienmaklerin aus Freiburg. Seither haben sie fast jedes Wochenende lustvoll daran herumsaniert: «Wir haben keine Kinder, wir haben das Weisse Kreuz.» 2018 fuhr Thomas Frei vom Bernerhof Gstaad vorbei, sah das «Zu vermieten»-Plakat, rief Hans Peter Reust an und trommelte seinen Verwaltungsrat zusammen. Dieser hörte, überlegte, rechnete, nickte die Gründung einer Stiftung für die Förderung des Tals mitsamt Pacht des Weissen Kreuzes ab und dachte sich für das alte Gasthaus einen neuen Namen aus: Berghotel Zur Sau.

Ja, Berghotel Zur Sau, und nein, die Idee kam weder von Frei noch von Reust noch vom Bier, sondern von Fredy Collioud, dem früheren CEO der Publicis, einer der grössten Werbeagenturen des Landes zu ihrer Zeit. Mit anderen Worten: Die wussten, was sie taten.

«Das Weisse Kreuz wird zur Sau gemacht», titelten die Zeitungen. «Wo bleibt da der gesunde Menschenverstand?», empörte sich die Leserschaft – und zack, war das Projekt da, wo man es haben wollte: im Gespräch. «Sauen sind sympathische Zeitgenossen», replizierte Thomas Frei genüsslich. «Sie scharren, grunzen und saufen auf der Alp die Molke. Ein wunderbares Tier. Wieso soll ein Restaurant Adler oder Ochsen besser als eine Sau sein? Es gibt in der Schweiz über 20 Gastbetriebe mit dem Namen Weisses Kreuz. Aber Abländschen gibt es nur einmal. Darum hat das altehrwürdige Weisse Kreuz einen unverwechselbaren Namen verdient, ein gewitztes Konzept und Gäste mit Humor.»

Das unmittelbare Community Building hatten Frei und Reust schon früher in Gang gesetzt, als Väter des Saveurs-Gourmetfestivals Gstaad wissen die, wie so etwas läuft. Mit Bauer Hanspeter Dänzer bauten sie, ganz neu, Abländschner Bergkartoffeln an. Als Erntehelfer liessen sich die Kochlegenden Martin Dalsass, Franz Faeh, Robert Speth und André Jaeger aufbieten. Letzterer lieferte auch gleich das Rezept für die Wurst, mit der die illustre Truppe ihre frisch ausgegrabenen Erdäpfel auf dem offenen Feuer degustierte und dazu flott in die Kameras lächelte. Die mediale und socialmediale Aufmerksamkeit der Abländschner Erdäpfel fand Niederschlag im Marketing-Management-Blog der ZHAW.

Die Kartoffeln sind aber nur eins. Duroc-Alpschweine werden dazukommen. Gemüse, Salat, Roggen, Dinkel, Enzianschnaps und Perlhühner gibt es schon. Der Roggen ging an die Krähen, der Rest an die Geniesser. Und die Milch der letzten drei Abländschner Bauern Dänzer, Poschung und Bergmann wird seit 2020 zu einem lang gereiften Rohmilchkäse verarbeitet, erstens für die Markenbildung von Abländschen und zweitens für die Gäste im Berghotel Zur Sau, das nun tatsächlich nach der handelsüblichen pandemiebedingten Verspätung von einem Jahr seit dem 21. Mai offen ist. Das Haus bietet neun Zimmer, einen Salon, eine Wirtschaft, ein Sääli mit Steinway-Flügel, ein kleines Fumoir, eine grosse Sonnenterrasse und einen Slogan: «Berghotel Zur Sau – hier kannst du so richtig abländschen!» Hier ist es ja, das Verb.

In der Küche wirbelt Marie Fallegger, im Service Clà Frei, der zuvor bei Sterne-Koch Tim Raue in Hamburg servierte. Das smarte Speisekärtli fokussiert auf die Region, und bei den Weinen findet sich ein Rolle-sur-Mont als kleines Danke an Géraldine und Patrick Rolle für ihren Enthusiasmus und den fairen Pachtzins. Pro Hauptgang gehen zwei Franken in die Stiftung zugunsten des Tals, für einen fairen Milchpreises und eine lokale Wertschöpfung mit einheimischen Produkten. Der Preis für Abländschner Wasser geht vollständig an die Stiftung.

Man wünscht sich, dass die sonnigen Talbewohner, die von Anfang an mitmachten, für ihre Chuzpe belohnt werden und der Name Zur Sau bald positiv besetzt ist. Damit auch die kritischen Geister merken, dass der Startschuss für eine Flucht nach vorn halt richtig chlöpfen muss, damit die Läufer in die Gänge kommen und die Gäste ins Berghotel. Eine saufreche Idee ist jedenfalls ein guter Anfang.



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