Nach dem Trink ins Zimmer
Die Gastronomie schreibt Liebesgeschichten! Jene von Anton Mosimann, zum Beispiel. Oder von Monsieur Tabasco höchstpersönlich.
«Die Message lautet: Ich, ich, ich, Fleisch, Fleisch, Fleisch.»
Mr. Tabasco ist zu einer Konfirmation eingeladen. Beim Festessen versorgen sie den alten Sack an einen Tisch mit drei smarten, hochanständigen Männern zwischen 17 und 20, damit der alte Sack nicht der Alterseinsamkeit anheimfällt oder sich mit andern alten Säcken zusammenrottet und mit peinlichen Sprüchen stört. Der alte Sack fragt nun seine drei flotten Tischgenossen, ob sie sich fürs Kochen interessierten. Zwei Antworten kriegt er: Nusret Gökçe und Bumann. Er schweigt lang und laut und sagt dann: «Aha.» Daraufhin die Jungs so: «Ähm?» Und der alte Sack so: «Bumann schaue ich nicht. Nusret kenne ich nicht.»
Zehn Minuten und drei gezückte Smartphones später kennt er auch Nusret und weiss, dass der türkische Metzger und Restaurateur ein paar Millibillitrilliarden Follower, Klicks und Likes hat, weil er sein Fleisch nicht salzt wie ein normaler Mensch, sondern weil er das Salz auf handbrecherische Art von seinen Fingerspitzen über seinen behaarten Unterarm auf das Fleisch hinunterrieseln lässt «mit einer Eleganz und Grazie, die ihresgleichen sucht», wie das Altpapier an den Bahnhöfen schwurbelt.
Auf Instagram und Youtube inszeniert Nusret sich in Dutzenden von Clips, ein Türke mit dem Oberlippenbart und dem von Humor unbelasteten Gesichtsausdruck von Marlon Brando. Er trägt in der Küche Sonnenbrille, zwängt seinen vom Training gestählten und vom Solarium gebräunten Oberkörper in ein hautenges weisses T-Shirt mit freier Sicht aufs Brusthaar, plustert sich auf und präsentiert sich und sein Fleischmesser mit demselben Pathos wie japanische Bojutsu-Kämpfer sich und ihre Stöcke. Auf dem Pausenplatz würden die drei sympathischen jungen Gymnasiasten und Studenten diesen aufgeblasenen Salzstreuer keines Blickes würdigen, aber als Performer auf Insta finden sie ihn geil.
Geil finden ihn auch die hyperventilierenden People-Redaktorinnen, die wissen, dass Nusret Gökçe ein «Imperium» besitzt, 13 Restaurants, auf drei Kontinenten. Tatsächlich ist er nur Co-Partner, und ob er von «seinen» 13 Restaurants die genauen Adressen kennt, möchte man nicht beschwören. Letztes Jahr schrieben die Blätter, er habe neun Kinder, heuer schrieben sie von 13, nur Hürriyet schreibt, er habe überhaupt keins, zumindest keins, von dem man weiss. Er habe als Metzgerlehrling «täglich 18 Stunden gearbeitet», gibt er zu Protokoll. 18 von 24, ah ja.
Seine Fleischhauershow beherrscht er. Wie er filetiert, schneidet, Fleisch durch die Gegend klatscht, aufwirft, mit dem Messer auffängt, gewalttätig und feinfühlig zugleich – das kann nur, wer wirklich jahrelang im Fleisch gelebt hat. Meist inszeniert er sich denn auch am Brett, nur selten am Herd, offenbar berechtigterweise, gemäss dem Kritiker der New York Post war das Fleisch bei seinem Besuch zäh wie Schuhleder, man liess zu dritt 520 Dollar liegen und benötigte hernach noch eine Kleinigkeit zu essen.
Allerdings sind solche Kritiken ebenfalls mit Vorsicht zu geniessen. Möglicherweise macht ein eitler Neider seinem Ärger über das affige Gehabe des Stars Luft, indem er über das Fleisch herzieht, während ein anderer sich gerne selber jung und trendy gibt. – Der Food-Kritiker der New York Times fotografiert seine Hose, die Nusret ihm versalzen hat. Streuverlust gehört halt dazu, wenn die Gottheit das Salz am Tisch von Kopfhöhe auf den Teller niederrieseln lässt. Food-Kritiker sind gelegentlich genauso Selbstdarsteller wie jene Top-Promis, die sich inzwischen mit Nusret ablichten lassen, um sich in dessen Glanz zu sonnen.
Nusret funktioniert bei den braven jungen Schweizern wegen seiner Message, die da lautet: Ich, ich, ich, Fleisch, Fleisch, Fleisch. Ich spiele mit Fleisch, umgebe mich mit Fleisch, ich bin Fleisch, martialisch, bestialisch, männlich, Fleisch und Kinder und Manneskraft – das hübsche Kontrastprogramm für Männer in eine Welt voller urbaner veganer vergeistigter Weicheier mit Bürzi, Bike und Anstand. Nusret protzt sein Fleisch vor sich her wie Trump seine Dummheit, er ist für Essreligion dasselbe wie Trump für die Politik: zügelloses Aufbegehren. Für die Braven ein Flirt mit dem Bösen, Verdrängten, Obszönen. Fleisch herumzuwerfen und mit dem Messer aufzufangen, das ist so ziemlich das Gegenteil der Gutmenschensülze ihres von Vernunft, Mässigung und Anstand erfüllten Alltags.
Wer etwas kann und es auch zeigt, wer dabei den Zeitgeist erwischt und ein wenig Glück hat, kann heute gigantisch schnell Erfolg haben. Aber wo der Gastgeber wichtiger ist als der Gast, ist der Grat schmal und der Absturz nah. Wenn Nusret nicht rechtzeitig umsattelt auf Hollywood, Modelinie, TV-Show oder Präsidentschaft, dann ist er weg vom Fenster, sobald der nächste Showstar die Küche zur Bühne macht, viral geht und gehypt wird.
Und interessieren sich nun die drei flotten jungen Schweizer dank Nusret fürs Kochen? Natürlich nicht. Null, zero, nada.