Zweifel und Balken sind angebracht

Ein Ausflug ins Nachbardorf lässt Monsieur Tabasco tiefe Erkenntnisse gewinnen. Ebensolche wünscht er dem Gastgeber der von ihm besuchten Beiz. Dringend.
Text: Monsieur Tabasco
Veröffentlicht: 29.08.2023 | Aus: Salz & Pfeffer 4/2023

Kein Bank bei Trost finanziert so was.

Sommerferien. Ostschweiz. Stammbeiz. Zigarre. Garten. Wirtin. E chli schnörre. Und dabei erfahren, dass es im Nachbardorf seit einem Jahr ein indisches Restaurant gibt. Super. Ein Inder passt in dieses Dorf wie ein Kuhstall an den Zürcher Paradeplatz. Gastronomie ist ja immer ein Wagnis, aber muss es gleich ein Himmelfahrtskommando sein?

Ich brettere heim und schlage das Internet auf. Also. Ein tüchtiger Tamile kommt ins Land, arbeitet sich zum Chef de Service hoch, führt Landsleute auf den Titlis, stösst auf das Dorf an toller Aussichtslage, verliebt sich, erwirbt die Aussicht und nimmt das dazu gehörende Bhaltis in Kauf, eine architektonische Scheusslichkeit mit Baujahr 1967, erstellt und betrieben als Erholungsheim für Diakonissen, später als Hotel für Vegis und Nichtraucher und zuletzt sechs Jahre lang als Mahnmal für Leere und Vergänglichkeit, eine Preziose der Agonie mit 26 Zimmern.

Keine Bank bei Trost finanziert so was. Der Hotelier in spe bringt zwei brave Landsmänner mit und womöglich das Eigenkapital einer so gschaffigen wie sparsamen Sippe. Vielleicht budgetiert er mit den Landsleuten, die er dem Titlis abspenstig machen will. Darum heisst das Haus Swisspanorama (Name typähnlich) und wirbt mit der «Schweizer Aussicht», da und dort auch mit «Schweizer Ansicht», bei einer viersprachigen Website ist so ein Übersetzungstool vielleicht dann auch einfach mal überfordert, gell. Aber «Balken angebracht» für «Bar attached» ist doch liebenswert.

Für 138 Franken gibts das Doppelzimmer mit Gemeinschafts-WC, jenes mit Bad für neun Franken mehr, und nein, die Diakonissen haben ihre Erfüllung nie in Pracht und Prunk gesucht. Doch angesichts der Ansicht lässt man Milde walten, betrachtet Haus wie Ausstattung als Zeugen einer Epoche und entdeckt im Hässlichen das Liebenswürdige. «24 Stunden heisses Wasser» in allen Zimmern kann man ja auch wieder mal schätzen lernen, gell.

Zwei Abende später ist es so weit. Vera und Alex kommen mit. Die lieben scharf. Die orientalischen Artefakte beim Eingang kaschieren das Erholungsheim auf liebreizende Weise weg, und der Gastgeber lächelt herzerwärmend. Ah, Sie haben reserviert? Ja, online. Ach so, online. Nun, online funktioniert grad nicht. Aber kein Problem, es hat noch freie Tische.

Es hat sogar noch viele freie Tische. Die Karte ist laminiert, klein und geeignet, Misstrauen zu erwecken. Blattsalat mit Hausdressing für 6.50 Franken. Nein, die Preise zeugen nicht von Habgier. Das teuerste Gericht ist Crevetten-Masala für 23.50 Franken, das panierte Schweinsschnitzel gibt es für 19.50 Franken. Von elf Hauptgängen sind fünf nicht indisch. Dafür lächelt der Gastgeber dermassen orientalisch, dass man fürchten muss, er habe die Bestellung nicht verstanden. Linsensuppe, bitte mit Naan, und Frühlingsrollen zur Vorspeise, danach Hühnchen-Masala, und bitte scharf.

Das Ambiente ist etwas toasthawaiiern. Nur das orangefarbene Zweifel-Plastikkörbli mit Kägi-fret und die stilikonische Ovomaltine-Flügeltüren-Tischvitrine für den Nussgipfel fehlen noch. Immerhin wird die lange Wartezeit verkürzt von der hauseigenen Fliege, die uns von allen Seiten interessiert begutachtet.

Veras Linsensuppe ist vieles, nur nicht indisch. Eine weisse Harmlosigkeit, abgeschmeckt offensichtlich mit Rahm. Das Naan fehlt. Vera fragt nach, wartet dann eine Viertelstunde und bekommt drei Löffel vor Suppenschluss das Fladenbrot doch noch, das ebenfalls vieles ist, nur kein indisches Naan. Vera war noch nie bei einem Inder, bei dem man Naan überhaupt bestellen muss. «Das bringen sie immer, und grad zuerst, mitsamt Sööseli. Naja gut, die Inder in Londons Innenstadt bieten dafür keinen Bergblick.»

Das Poulet Masala ist nicht schlecht, aber «scharf» ist mehrere Flugstunden entfernt. Und der indische Reis ist langweilig gekochter weisser Westlerreis. Die Fliegen sind inzwischen zu dritt. Drei Fliegen, drei Gäste, Eins-zu-eins-Betreuung. Alex wird nicht satt und bestellt dasselbe noch einmal. Ob sie es auf die Rechnung tun werden? Sicher, sagt Vera. Sicher nicht, antworte ich, die haben doch Ehre im Leib. Wir bezahlen dann die 122 Franken, ohne eine Rechnung zu Gesicht zu bekommen und ohne nachzufragen. Die zweite Portion dürfte drauf gewesen sein.

Das nächste Mal parkieren wir drei wohl 200 Meter weiter unten vor dem urchigen Bären. Da lächeln sie viel weniger und das Schweinsschnitzel kostet 4.50 Franken mehr. Dafür gibts zu Lachsfilet, Gemüsecurry und sogar Rindsgeschnetzeltem Basmatireis. Unserem tamilischen Freund wünschen wir einen langen Schnauf und baldige Besserung. Oder baldige Einsicht. Letztere wäre zu finden bei einem Blick aufs Facebook-Profil. Es hat null Fotos, null Likes und null Follower.



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