Japanisch inspiriert, heimisch produziert
Als Würzmittel hat sich die Sojasauce auch in unseren Küchen einen Platz erobert. Patrick Marxer von Das Pure tüftelt derzeit an einer Variante aus Schweizer Zutaten – mit Acker- statt Sojabohnen.
Die Idee liegt in der Luft.
Am Anfang des Projektes Veg-Alp stand die Idee, das Bündnerland in Sachen pflanzenbasierter Rohstoffe kulinarisch zu erforschen. In Zusammenarbeit mit der Organisation Graubünden Viva entstand ein Konzept, das Bündner Traditionen mit weltweitem Know-how verknüpft. Insbesondere das berühmte Trockenfleisch diente für die Gemüse- Experimente als Vorlage.
Randen aus dem Domleschg von Bio-Bauer Marcel Foffa wurden gekocht, eingesalzen und gewürzt – und dann mit dem japanischen Edelschimmelpilz Koji gereift. Zum Schluss wurden sie auf der Alp in Davos getrocknet. Besagte Alp war Dreh- und Angelpunkt der Experimente rund um pflanzenbasierte Rohstoffe aus dem Bündnerland. Auch eine Art Sojasauce aus Bündner Gerste wurde hier angesetzt, in einem Holzfass vom Weingut Obrecht. In kalten Winternächten verwandelten sich Bergkartoffeln von Marcel Heinrich draussen in Chuños, nach dem Vorbild also der gefriergetrockneten Kartoffeln, wie man sie in den Anden kennt. Doch die veredelten Randen entpuppten sich als das mit Abstand begehrteste Objekt, auch medial.
Die Idee, Gemüse zu verarbeiten, als wäre es ein Stück Fleisch, als wäre es genauso wertvoll, liegt in der Luft. Das zeigte sich auch, als ein halbes Jahr nach dem Start des Veg-Alp-Projekts das Buch «Koji Alchemy» erschien. In diesem beschreibt Autor Jeremy Umansky (siehe Box), wie er Gemüse in aufschneidbare Delikatessen verwandelt. Im Interview erzählt er, dass die Idee, Gemüsecharcuterie zu produzieren, eine ganz natürliche Fortsetzung seiner Arbeit gewesen sei. Er habe bereits pflanzenbasierte Proteine mit Koji gereift gehabt – und daraufhin eine Methode entwickelt, auch Gemüse damit zu veredeln. Der Pilz produziere darauf Enzyme, die für gute Aromen sorgten.
Beim Vorhaben, Randen wie Bündner Trockenfleisch zu veredeln, wurde das Veg-Alp-Team rund um Koch Jann Hoffmann und Autorin Esther Kern anfangs von Fermentista Patrick Marxer unterstützt. Er setzte erste Bündner Randen mit Koji an, die dann auf der Davoser Alp trockneten. Die Koji-Reifung braucht Wärme über 48 Stunden. Die Idee war ursprünglich, diese Wärme auf der Alp mit einem Sonnenkocher zu produzieren. Aber wie es so ist: Manchmal hat man gute Ideen, die sich in der Realität aber als zu kompliziert oder zu teuer erweisen.
Dass Vegi-Charcuterie auch ohne Koji-Reifung geht, stellten indes die Macher der Jazzkantine in Luzern fest. Küchenchef Marcel Hurschler: «Wir haben Randen roh gebeizt, geräuchert und getrocknet.» Er servierte die so veredelten Randen beispielsweise als Amuse-Bouche: ein Bergkartoffel-Chip, darauf karamellisierten Ziegenkäse und zuoberst die Randen in Brunoise geschnitten. «Das passt, denn das Rauchige der Randen ergänzt das Knusprige des Chips und das Cremige des Käses», so Hurschler. Noch nicht zufrieden ist er mit der Konsistenz. «Ich möchte weiterversuchen, die Randen roh zu verarbeiten, ohne sie zu kochen», sagt der Küchenchef. Aber er müsse da noch etwas pröbeln. Was er als Nächstes versuchen will, ist, Wassermelonen-Rettich zu Charcuterie zu verarbeiten.
Im Ornellaia in Zürich hat man derweil ebenfalls die Rande als Rohstoff ausgewählt. Und zwar mit der Idee, Bresaola daraus zu machen. Küchenchef Antonino Alampi: «Wir geben den Gästen als Amuse einige Tranchen Rohschinken. Nun kommen aber immer öfter Vegetarier, und denen wollten wir etwas Ebenbürtiges bieten.» Im Ornellaia werden die Randen im Hightech-Gerät Ocoo gegart und mit Koji fermentiert. Danach werden sie getrocknet. Ziel ist, dass sie am Schluss vom Koji eine weisse Schicht haben wie beim Trockenfleisch. Alampi: «Aber bislang haben wir das noch nicht geschafft. Da arbeiten wir dran.»
Inspiriert vom Projekt Veg-Alp, hat sich auch das Food Lab Milk. mit Sitz in Hamburg und Frankfurt an Vegi-Charcuterie versucht. Felix Bröcker, Philosoph und Koch, der das Labor leitet, sagt: «Das verschimmelte Gemüse zu essen, hat etwas Überwindung gekostet. Aber geschmacklich war es sehr gut.»
Die Tatsache, dass derart behandeltes Gemüse sich so verbreitet, zeigt, dass das Konzept wohl dem Zeitgeist entspricht. Aber gibt es eigentlich auch historische Quellen, die zeigen, dass man etwas in dieser Art schon früher herstellte? Weltweit habe er keine Traditionen gefunden, die Vegi-Charcuterie beschreiben, sagt Buchautor Umansky. Am ehesten vergleichbar sind wahrscheinlich die japanischen eingelegten Gemüse, die teilweise auch am Stück fermentiert werden. Sie nehmen dann allerdings nicht den Hauptplatz auf dem Teller ein.
Natürlich kennt man weltweit die Reifung von pflanzenbasierten Rohstoffen mit Koji. Aber zumeist wird das Endprodukt dann als Würzmittel eingesetzt und nicht am Stück verzehrt – das gilt beispielsweise für Sojasauce oder für Miso. Matteo Leoni, Fermentista von Pure Taste in Basel, brachte unlängst ein Gewürz namens Puromat auf den Markt, das mit fermentiertem Gemüse hergestellt wird, bei dessen Verarbeitung auch Koji zum Einsatz gekommen ist.
Für Veg-Alp entwickelt Leoni in seiner Basler Fermentationsmanufaktur derzeit die Rezeptur für die Randen weiter. Denn noch sind diese nicht bereit für die grosse Masse. Geschmacklich überzeugen sie die Macher zwar, der Prozess gestaltet sich aber als aufwendig. Ziel ist ein marktreifes Produkt, für das viele Faktoren zusammenpassen müssen. Gesucht werden aktuell Partner, die Veg-Alp unterstützen – auch dabei, die Rolle der Denkfabrik in Sachen Gemüse und pflanzenbasierte Rohstoffe weiterhin zu übernehmen.
«Koji wirkt auch als Bio-Schutzschild»
Jeremy Umansky betreibt in Cleveland/Ohio den Delikatessenladen Larder. Er produziert viele seiner Delikatessen selber. Und er ist in den USA so etwas wie der Papst für Koji-Fermente. 2020 erschien sein Buch «Koji Alchemy», in dem auch die Anleitung für Gemüse-Charcuterie enthalten ist.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, vegetarische Charcuterie herzustellen?
Jeremy Umansky: Seit vielen Jahren bin ich Wurstwarenhersteller. Gleichzeitig arbeitete ich auch mit Koji und anderen Edelschimmelpilzen, die bei der Herstellung von Lebensmitteln zum Einsatz kommen, um Delikatessen aus pflanzlichen Proteinen wie Tofu, Tempeh und Miso zu produzieren. Nachdem ich eine Technik zur Verwendung von Koji entwickelt hatte, um Fleisch und Wurstwaren zu inokulieren, begann ich mich zu fragen, warum wir diese Methode zur Herstellung von Wurstwaren nicht auch auf Gemüse anwenden. Nach einigen Versuchen fand ich eine Technik, die grossartig funktioniert.
Haben Sie bei Ihrer weltweiten Recherche Traditionen gefunden, in denen zum Beispiel Karotten wie Fleisch veredelt werden?
Nicht wirklich, ich habe keine Traditionen ausgemacht, die Vegi-Charcuterie beschreiben. Es gibt einige fermentierte und langsam getrocknete Gurken in Teilen von China, Korea und Japan, aber keine davon beinhaltet das Härten des Gemüses und kaum eine das Inokulieren des Gemüses mit Schimmel. Der Verwendungszweck dieser Lebensmittel ist ebenfalls völlig anders. Sie werden hauptsächlich als Gewürze verwendet und sind nicht dazu gedacht, in Scheiben geschnitten und wie Wurstwaren gegessen zu werden.
Was bewirkt Koji auf dem Gemüse?
Er macht mehrere Dinge. Während er auf dem Gemüse wächst, produziert er verschiedene Enzyme, die aus dem Gemüse köstliche Aromen erzeugen. Während das geschieht, entzieht der Schimmel dem Gemüse auch Feuchtigkeit, um es beim Austrocknen zu unterstützen. In gewissem Masse wirkt Koji auch als Bio-Schutzschild.
Welches Gemüse eignet sich für Charcuterie?
Praktisch alle Wurzelgemüse von Rüben bis Karotten bieten sich an. Winterkürbis, Klette, Brokkolistängel und eine Vielzahl anderer Gemüse mit festem Fleisch passen hervorragend. Jene, die eine weiche Textur und einen hohen Feuchtigkeitsgehalt haben, wie Tomaten und Auberginen, funktionieren nicht gut.
Zum Schluss noch die Frage: Wie lange ist denn Vegi-Charcuterie haltbar?
Je nach Lagerung vier bis sechs Wochen.Sprich: Einfrieren ist nicht nötig.
Ein wachsender Markt
Bei der veganen Ernährung geschieht gerade ein Umdenken. Eine breitere Masse interessiert sich dafür – und entsprechend entwickelt sich auch der Markt. Oft spricht man heute denn auch von «plant based» statt von vegan. Trendforscherin Hanni Rützler gibt im Food Report 2019 die Erklärung, man wolle damit «den von vielen Konsumenten als ideologischen Kampfbegriff wahrgenommenen Terminus ‹vegan› vermeiden» und damit auch die wachsende Zahl von Menschen ansprechen, die sich gesünder ernähren und den Fleischkonsum etwa aus ökologischen Motiven reduzieren wollen.
Und so diversifiziert sich der Plant-based-Markt stetig. Sowohl bei industriell gefertigten Produkten als auch bei jenen aus Manufakturen sieht Laura Lombardini, Geschäftsführerin der Veganen Gesellschaft Schweiz, ein schnelles Wachstum. Bei Fleischersatzprodukten spricht man davon, dass sie in zehn Jahren bereits einen Drittel des Gesamtfleischkonsums in der westlichen Welt ausmachen werden.
Zunehmend machen aber auch ganz neue, pflanzenbasierte Delikatessen aus Manufakturen von sich reden. «Im Grossverteiler erhältlich sind beispielsweise in der Schweiz produzierter Käse aus Nüssen oder einheimische Karotten, die wie Lachs geräuchert werden», so Lombardini. Oft sind vegane Delikatessen von kleinen Herstellern, verglichen mit Produkten aus industrieller Fertigung, eher teuer. Lombardini dazu: «Wenn eine Manufaktur etwas entwickelt, so hat das einfach seinen Preis.» Noch steckt die Fertigung veganer Delikatessen aus natürlichen Rohstoffen in den Kinderschuhen. Die Gschäftsführerin der Veganen Gesellschaft Schweiz aber weiss: «Es geschieht aktuell ganz viel spannende Entwicklungsarbeit.»