Gemüse in der Hauptrolle
Milchsäurebakterien und Pilze als kleine Helfer in der Küche? Warum nicht. Bei der Gemüsefermentation werden diese Agenten des Zerfalls gezielt eingesetzt.
Wie es meinem Rüebli auf dem Feld wohl geht? Wer auf dem Hof von Stefan Brunner im Berner Seeland einkauft, kann sich diese Frage künftig nicht nur stellen, sondern auch beantworten. Der junge, dynamische Biobauer bringt gerade eine App auf den Markt, über die seine Kunden jederzeit kontrollieren können, wie es um «ihr» Gemüse steht, wie es wächst und gedeiht und welchen Einfluss das Wetter darauf hat. «Bionär» heisst das Konzept, das in seiner Optik an Farmville & Co. erinnert, sich wortschöpferisch als Vermählung von «bio» und «Aktionär» entpuppt und in seiner Idee so simpel wie bestechend ist.
«Eigentlich», sagt Brunner, «hat das Konzept nur darauf gewartet, umgesetzt zu werden. Es lag alles auf der Hand.» Und so funktionierts: Wer über Bionär Gemüse kauft, tut dies gleich quadratmeterweise – zu einem fixen Preis, der im Vorfeld bestimmt wird und fürs Jahr 2017 auf 20 Franken pro Flächeneinheit festgelegt wurde. Dafür bekommt der Kunde eine Schätzung darüber, wie viel Ertrag er zu erwarten hat – und fortan die ganze Story bis zum verzehrfertigen Gemüse mitgeliefert; mit wöchentlichen Foto-Updates aufs Smartphone, mit Infos und Berichten sowie Einladungen zur Mitarbeit beim Jäten oder der Ernte. Vor Ort, auf dem Eichhof in Aarberg, sind die verkauften Flächen mit Schildern versehen, auf denen der Name des «Mieters» steht und ein QR-Code prangt, über den weitere Auskünfte abrufbar sind. Brunner will Nähe schaffen. «Ich wünsche mir, dass jeder Kunde mindestens einmal auf dem Feld steht und seine Quadratmeter live sieht», sagt er. «Das Produkt an sich, die Kartoffel oder das Rüebli oder der Kürbis, ist austauschbar. Was sich aber verkaufen lässt, ist die Geschichte.» Und weil, was für die Landwirtschaft gilt, erst recht auf die Gastronomie zutrifft, hat sich der Bauer für die Köche unter seinen Abnehmern eine besonders raffinierte Variante von Bionär ausgedacht.
Dem Endkonsumenten gibt Brunner, der den Eichhof in sechster Generation führt, die Konditionen weitestgehend vor: Als ausgewiesener Profi entscheidet er, wann und auf welcher Fläche er welche Sorten anbaut (2017 sollen es hauptsächlich Lagergemüse sein). In der Folge verkauft er Quadratmeter um Quadratmeter zum Fixpreis, Lieferung und Lagerung exklusive. Die Ernte, die er nicht über Bionär absetzt, kommt regulär auf den Markt. Die Zusammenarbeit mit Köchen und Gastronomen, für die er «gern etwas mehr tut», stellt sich der Berner sehr viel freier vor: Der Koch sagt, was wie angebaut wird. «Solange es legal ist», betont Brunner und lacht. Tatsächlich nimmt er in diesem Rahmen sogar (ungebeiztes) Saatgut an und überlässt dem Gastronomen die Entscheidung über den Zeitpunkt der Aussaat, wobei er sein Know-how auf Wunsch gern teilt. «Aufgrund des wöchentlichen Fotoberichts kann der Koch schliesslich auch bestimmen, wann geerntet werden soll», führt Brunner weiter aus, «und in welcher Form». Gerade das dürfte so manchem Küchenprofi ganz neue Perspektiven eröffnen: «Als Bionär-Kunde kann er mir genau sagen, wie ich das Gemüse von seinem Quadratmeter ernten soll; ob beispielsweise gleich ‹leaf to root› oder mit bestimmten Teilen wie den Wurzeln oder Blättern – alles ist möglich.»
Das dürfte mehr als ein blosses Versprechen sein: Über die Berner Gastroszene hinaus geniesst Brunner einen fabelhaften Ruf, als Mann mit Erfahrung, Ehrgeiz – und Experimentierfreude, der gern ausprobiert, quer- und weiterdenkt. Seit Jahren schon beschreiten er und seine Frau Lorena in der Schweizer Landwirtschaft neue Wege und feiern, um nur ein Beispiel zu nennen, mit ihrem Konzept der Lohnjäterei grosse Erfolge. Neue (oder eben ganz alte) Gemüsesorten, spezielle Gewächse oder alternative Arten der Kultivierung liegen Brunner dabei am Herzen. «Ich hatte schon immer verrückte Ideen», erzählt er. «Und bei den Köchen stosse ich damit endlich auf Gegenliebe.» Er schmunzelt. «Nur ist es schwer, mit Spezialitäten rentabel zu arbeiten, weil sich kaum eine genug grosse Menge davon absetzen lässt, sodass die Versuche oft am Preis scheitern.» Mit der Einbindung der Köche und Gastronomen ins Bionär-Konzept hat sich Brunner ein Instrument besorgt, um den finanziellen Aufwand auch bei Extrawünschen und Experimenten mit ungewissem Ernteausgang beziffern und überschauen zu können. Im Anfangsjahr 2017 verrechnet er den Profiköchen unter seinen Abnehmern 30 Franken pro Quadratmeter Freiland; braucht es zusätzlich ein Gerüst oder einen Tunnel, steigt der Preis um fünf respektive zehn Franken. Dafür kommt das Gemüse eben ganz genau so, wie es bestellt wurde. «Ich freue mich», sagt Brunner, «auf den Austausch, den ich mir davon erhoffe.» Und betont, Ideen seien jederzeit willkommen: «Ich bin offen für individuelle Anfragen und Lösungen.»
Selbstredend will der Bauer mit Bionär aber nicht nur einen Bildungsauftrag erfüllen und Gleichgesinnte für spannende Gemüseexperimente finden, sondern auch Geld verdienen – aller Landlieberomantik zum Trotz. Den Ausschlag fürs Projekt habe denn auch die Tatsache gegeben, erzählt Brunner, dass er sich geärgert habe: «Darüber, dass ich das finanzielle Risiko als Landwirt allein trage, und über die Vorgaben von Qualiservice, die bestimmen, wie ein Gemüse auszusehen hat, damit es verkauft werden kann.» Und dann war sie eben plötzlich da, die Idee: Der Bauer überträgt das finanzielle Risiko schlicht und ergreifend auf den Kunden – zumindest im Bezug auf die Gemüseernte. Wenn sein Quadratmeter keinen Ertrag bringt, trägt der Abnehmer den Verlust mit. Wobei Brunner beschwichtigt; ein 100-prozentiger Ausfall der Ernte sei keineswegs realistisch. «Und natürlich setze ich alles daran, dass es gut kommt.» Immerhin, fügt er lachend hinzu, wisse der Kunde wenigstens, woran es gelegen habe, wenn der Ertrag gering ausfalle: «Dank des regelmässigen Foto-Updates.» Überdies sei der Preis so angesetzt, dass man mit Bionär bei einer guten Ernte besser fahre als beim Grossverteiler, bei einem durchschnittlichen Ertrag etwa gleich gut. Das liegt auch daran, dass «wüste Ware» nicht ausgemustert wird: «Der ganze Ertrag, der essbar ist, kommt zum Kunden.» Das freut Brunner besonders.
Rund eine von total 18 Hektaren, die Stefan und Lorena Brunner in Aarberg bestellen, ist in einem ersten Schritt fürs Bionär-Projekt reserviert. Nun ist der Initiator auf der Suche nach interessierten Abnehmern – und in einem zweiten Schritt (ab 2018) nach gleichgesinnten Landwirten in der ganzen Schweiz, die sein Konzept übernehmen möchten. Bionär ist als Franchise-System konzipiert, um die Wege kurz zu halten, wie Brunner erklärt: «Ich wünsche mir, dass in Zukunft viele Bauern im ganzen Land auf Bionär setzen, damit das Konzept wirklich aufgeht und kein Kunde weit zu seinem Gemüse reisen muss.» Dafür gestaltet er das Angebot für seine Berufskollegen recht attraktiv: Das Konzept sorgt für einen gesicherten und höheren Quadratmeterertrag als beim Grossisten, die App übernimmt Buchungen und Zahlungen – und die Bionär-Lizenz an sich kostet keinen Rappen, sondern erst pro effektiv darüber verkaufte Fläche.
Mitte Februar ist Bauer Brunner mit Bionär in die Betaphase gestartet. «Die Web-App ist eine Startversion, an der wir laufend arbeiten», betont er: Das erste Jahr soll ein Testlauf sein. «Nichts ist in Stein gemeisselt.» Alle Regeln gelten erst einmal für 2017, anschliessend wollen er und seine Geschäftspartner von Crunch, die die App programmieren, über die Bücher, allenfalls Anpassungen vornehmen – und ganz bestimmt weitermachen. Es bleibt spannend.
Das Konzept in Kürze
Die (Web-)App Bionär ist als Mischung von Direktvermarktung, Erlebnisagronomie, Gamification und Newsfeed konzipiert. Ziel ist es, den privaten Abnehmer direkt mit dem regionalen Landwirt zu verbinden. Der Kunde entscheidet via App, von welchem Biobauern er den Ertrag von wie viel Fläche von welchem Gemüse kaufen möchte. Im Vorfeld erhält er eine Schätzung über die Erntemenge sowie einen fixen Preis pro Quadratmeter. Wie es «seinem» Gemüse geht, erfährt er dank wöchentlichen Foto-Updates direkt aufs Smartphone, ausserdem kann er den Stand der Dinge jederzeit selbst prüfen. Willkommen ist er auch auf dem Feld, kann beim Jäten oder der Ernte anpacken. Sobald das Gemüse bereit ist, holt der Kunde es beim Bauern ab – oder lässt es sich gegen einen Aufpreis nach Hause liefern.
Das Projekt wurde vom Aarberger Biolandwirt Stefan Brunner Anfang 2016 in Angriff genommen. Seit Mitte Februar 2017 ist die Web-App als Startversion online, im Laufe des Jahres soll die «richtige» App folgen, die der Initiator in Zusammenarbeit mit den Medienproduzenten von Crunch entwickelt.
www.bionär.ch
Rabatt für Salz & Peffer-Leser
Stefan Brunner sucht die Kooperation mit Köchen und Gastronomen – und gewährt Salz & Pfeffer-Lesern darum einen Rabatt auf ihre Bionär-Bestellung: Mit dem Gutscheincode «salzundpfeffer» gibts fünf Franken
geschenkt. Das Angebot gilt bis Ende Mai.
www.bionär.ch