Das Feuer für Schweizer Brände entfachen

Auf dem Teller ist der Trend gesetzt: Möglichst regional und saisonal. Im Glas sieht das bisweilen anders aus: Herr und Frau Schweizer trinken Whisky und Rum statt einheimischen Schnaps. Warum eigentlich?
Text: Andreas Bättig – Fotos: Samir Seghrouchni
Veröffentlicht: 13.02.2024 | Aus: Salz & Pfeffer 1/2024

«Ein guter Schnaps kann nur aus guten Zutaten gewonnen werden.»

Kaum fallen die Temperaturen, blubbert der Käse im Caquelon. Was zum Fondue oft nicht fehlen darf: ein guter Kirsch – ob im Käse oder als Seitenwagen. Auch sonst ist der Winter die Schnapssaison Nummer eins: Apfel-, Birnen- oder Zwetschgenbrand landen im Kaffee und machen aus diesem je nach Region einen Kafi fertig, Kafi Lutz, Bätzi, Cheli oder Kafi Güggs. Damit hat es sich mit dem Trinkgenuss von Schweizer Obstbrand aber oft auch schon. Gelegentlich wird er vielleicht noch als Digestif bestellt, in Bars jedoch kommen andere Schnäpse zum Zug: Wodka, Whisky oder Gin.

Dass der Obstbrand einen schweren Stand hat, belegen die Zahlen. 2022 wurden in die Schweiz über 17000 Hektoliter Whisky und 8000 Hektoliter Rum importiert. Dagegen wurden hierzulande gerade mal 2164 Hektoliter Kernobst-, Kirschen-, Zwetschgen- und Pflaumenbrand hergestellt. Generell ging die hiesige Obstbrandproduktion in den letzten 20 Jahren stark zurück. Wurden 2002/2003 knapp 8000 Hektoliter Kernobstschnaps gebrannt, waren es 2021/2022 noch etwas mehr als 2100 Hektoliter. Auch die Zahl der registrierten Spirituosenhersteller ist rückläufig. 2003 lag sie bei 171052, heute bei 102738. Dass Obstbrände in der Schweizer Schnapslandschaft ein stiefmütterliches Dasein pflegen, erstaunt – zumal Regionalität und Saisonalität sonst eine immer grössere Rolle spielen.

Traditionsbrennerei im Entlebuch
Ortsbesuch in der Distillerie Studer im luzernischen Escholzmatt. Die Obstbrände des Unternehmens geniessen einen exzellenten Ruf, räumten im In- und Ausland bisher über 300 Goldmedaillen ab. 2021 und 2023 kam die Auszeichnung Brenner des Jahres von Distisuisse hinzu. 1883 von den vier Studer-Brüdern gegründet, stellt die Brennerei seit fünf Generationen Obstbrände her – von Kirsch- über Williams-, Pflaumen- und Apfel- bis zu Himbeerbrand.

Doch mit klaren Obstschnäpsen allein könnte sich Studer nicht über Wasser halten. Deshalb hat die Distillerie Studer auch viele andere Spirituosen wie Gin, Rum oder Absinth aus eigener Produktion im Sortiment. Geschäftsführer der Brennerei ist Jonathan Schönberger. Er sieht mehrere Gründe, warum der Obstbrand in der Schweiz ein Nischendasein fristet. «Auf dem Spirituosenmarkt gibt es wenige internationale Grosskonzerne, die mit riesigen Marketingbudgets die Nachfrage steuern», sagt er. «Diese kontrollieren den globalen Spirituosenmarkt. Sie schliessen mit vielen Barbesitzerinnen und Barbesitzern sogenannte Pouring-Verträge ab, in denen sie sicherstellen, dass in erster Linie ihre Produkte im Ausschank verwendet werden.» Dagegen könnten die Obstbrennereien kaum ankommen. «Wir sind so klein, dass wir weder das Werbebudget noch die Lobby haben.»

Ein weiterer Grund sei der Rohstoff, so Schönberger. Im Gegensatz zum Getreide, das die Grundzutat etwa für Whisky ist, sei einheimisches Obst zum Brennen weder in grossen Mengen verfüg- noch skalierbar. Zudem falle die Ausbeute bei Obstbränden geringer aus. Aus 100 Kilo Früchten können etwa dreieinhalb bis vier Kilo reiner Alkohol gebrannt werden. Bei Rum, dessen Basiszutat Zuckerrohrmelasse ist, sei die Ausbeute deutlich höher. Auch deshalb sei Obstbrand für internationale Grosskonzerne uninteressant.

Unterstützung erwünscht
Obschon die Rahmenbedingungen für den Schweizer Obstbrand schwierig sind, will sich Schönberger davon nicht entmutigen lassen. «Wir verarbeiten 100 Prozent Schweizer Früchte mit viel Sorgfalt. Obstbrände sind und bleiben ein wichtiger Teil unseres Portfolios.» Zusammen mit seinem Brennmeister tüftelt Schönberger an neuen Varianten. Dieses Jahr soll ein Williams auf den Markt kommen, der mit Salbei versetzt ist und nur 18 Volumenprozent hat. Die Niedrigalkoholvariante könnte dank ihres günstigeren Einkaufspreises insbesondere für Bars interessant sein. «Ich hoffe, dass Obstbrände in Zukunft mehr geschätzt werden», sagt Schönberger. Dabei setzt er auch auf die Unterstützung der Gastronomie. «Wenn der Gast nach dem Essen einen Digestif bestellt, wäre es toll, wenn nicht diverse italienische Grappas auf der Karte stünden, sondern einheimische Obstbrände.»

Preisgekrönter Kirsch
Auch im aargauischen Stetten entstehen tolle Destillate. Seit 1918 ist hier die Brennerei Humbel daheim, die sich besonders beim Kirsch einen Namen gemacht hat. An der letzten nationalen Edelbrandprämierung von Distisuisse wurde Humbel – nicht zum ersten Mal – mit der Auszeichnung Brenner des Jahres bedacht. «Ein guter Schnaps kann nur aus guten Zutaten gewonnen werden», sagt Lorenz Humbel. Die Zeiten, in denen mit Halbwissen auf dem Bauernhof auch aus faulen Früchten Schnaps gebrannt wurde, seien längst vorbei. «Dieser schlechte Ruf hängt dem Obstbrand wohl noch immer etwas an.»

Alle Früchte, die in Stetten verarbeitet werden, sind von Hand verlesen. Eine arbeitsreiche Ernte, die längst nicht mehr alle Landwirtinnen und Landwirte auf sich nehmen. Der Obstanbau für Früchte, die in der Schnapsproduktion landen, steht unter Druck. So ist nicht nur die Nachfrage nach Tafelobst für den Detailhandel grösser als jene für Obstbrandfrüchte, sondern auch der Preis dafür höher. «Es kommt vor, dass die Bauern darum lieber auf Tafelobstfrüchte setzen», sagt Humbel. Für die Obstbrennereien könnte das zum Problem werden. «Ohne Schweizer Früchte kein Schweizer Schnaps. Ich hoffe, dass das langsam auch in der Politik wahrgenommen wird und der Obstbrand als nationales Kulturgut eine ähnliche Unterstützung erhält wie der Wein.»

Qualität trotz Masse
Mengenmässig in einer anderen Liga spielt die aktuell ebenfalls mit dem Titel Brenner des Jahres ausgezeichnete Destillerie Diwisa im luzernischen Willisau. Ihr Landtwing Pomme, im Fass gereift, sowie ihr Landtwing Vieille Prune Suisse Garantie sind mit Gold prämiert. Das Unternehmen betreibt zwölf riesige Destillen, wovon zehn 650 Liter und zwei 3000 Liter Maische fassen, die dann zu Schnaps gebrannt werden.

Auch wenn das Sortiment der Diwisa mittlerweile umfassend ist, haben Obstbrände nach wie vor einen wichtigen Anteil – in der Brennerei über 90 Prozent. Trotzdem: «Obstbrände besitzen längst nicht mehr den Stellenwert, den sie noch vor 100 Jahren hatten», sagt CEO Adrian Affentranger. Schaue man den gesamten Spirituosenmarkt an, würden Obstbrände nur etwa zwei Prozent des Umsatzes ausmachen. «Deshalb finde ich, dass sich unsere Destillate auch nicht gegen andere Obstbrände behaupten müssen, sondern gegen andere Spirituosen.» Aus seiner Sicht herrscht unter den Obstbrandproduzenten deshalb kaum Konkurrenzdenken. «Wir müssen gemeinsam schauen, dass wir unsere Produkte wieder populärer machen.» Aktuell werden die Destillate von Diwisa vor allem Heissgetränken wie Kaffee beigemischt oder als Digestif genossen. «Ich bin aber davon überzeugt, dass Obstbrände im Barbereich noch viel Potenzial haben», sagt Affentranger. «Sie bringen nämlich spannende Fruchtaromen in die Drinks.»

Bei der Barkeeperin beliebt
Tatsächlich ist der Obstbrand mittlerweile auch in der Barszene angekommen. «Ich arbeite sehr gerne damit», sagt zum Beispiel Sarah Madritsch, die in der Igniv-Bar von Andreas Caminada in Zürich arbeitet und 2022 zur Barkeeperin des Jahres gekürt wurde. Obstbrände seien im Geschmack komplex und kräftig, der Einsatz in einem Cocktail gestalte sich allerdings nicht ganz einfach. «Aber genau diese Geschmacksvielfalt macht Obstbrände für mich so spannend. Meistens verwende ich sie als Zusatzkomponente», sagt Madritsch. Die Obstbrände bezieht sie von der Destillerie Orator im zürcherischen Pfungen. «Mir ist die Qualität sehr wichtig. Natürlich schlägt sich das auch auf den Einkaufspreis nieder.» Das sei einer der Gründe, warum es Obstbrände in den meisten Bars schwer hätten. «Der Cocktail muss etwas teurer sein, als wenn man einfach Gin verwendet.»

Die Gäste selbst würden nur selten explizit nach Cocktails mit Obstbränden fragen, sagt Madritsch. «Ich empfehle sie aber gerne.» Einer ihrer Lieblingsobstbranddrinks sei der Terra Rossa, bestehend aus Aquavit, Himbeergeist, Campari, Umeshu, saisonalen Beeren, Szechuan und Absinth. Aber auch in anderen Drinks machten sich Obstschnäpse gut, könnten sogar als Basis dienen. «Für einen Daiquiri zum Beispiel kann ich Kirsch statt Rum verwenden», so die Barkeeperin. Mit Zwetschge, Limettensaft und einem Ei lasse sich ausserdem gut ein Sour mixen. «Und wer weiss, vielleicht sind Obstbrände ja der nächste Hype», sagt Madritsch. Die Schweizer Destillerien sowie die hiesigen Landwirtinnen und Landwirte würde das sicher freuen.

Schnapsproduktion als Politikum
Auch politisch sorgt man sich um den Schweizer Obstbrand. So reichte Christine Badertscher, Nationalrätin der Grünen, einen Vorstoss ein, in dem sie mehr Unterstützung für einheimische Schnapsproduzentinnen und -produzenten forderte. «Ist der Bundesrat bereit, zusätzlich Spirituosen aus einheimischen Rohstoffen, insbesondere das nationale Kulturgut Obstbrände aus Früchten von Hochstammbäumen, besser zu schützen und zu unterstützen?», heisst es darin. Denn die Schnapsproduktion sei für die Erhaltung der Schweizer Hochstammbäume wichtig. Diese würden verschwinden, wenn ihre Früchte nicht vermarktet werden können. Dass immer weniger Schweizer Obstbrände getrunken werden, hat laut Badertscher mit der Liberalisierung des Spirituosenmarktes in den Neunzigerjahren zu tun. Seither sind die Steuern auf Schweizer sowie ausländischen Schnaps gleich hoch. Das führte dazu, dass die teure Schweizer Schnapsherstellung zumindest im Preis nicht mit dem Ausland mithalten kann. Beim Bundesrat fand Badertschers Vorstoss kein Gehör. «Der Bund fördert die Kultivierung von Hochstammfeldobstbäumen mit Direktzahlungen an Landwirte und Landwirtinnen. Diese Unterstützung bezweckt hauptsächlich die Erhaltung und Förderung der Biodiversität und der Landschaftsqualität», antwortete er. Und: «Sie hat nicht zum Ziel, die Produktion von Spirituosen aus Hochstammobst zu steigern.»



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