Der mystische Akkord

Text: Tobias Hüberli – Fotos: Marcel Studer
Veröffentlicht: 20.11.2016 | Aus: Salz & Pfeffer 8/2013
Skizze von Stefan Wiesner

«Und jetzt bitte festhalten.»

Eins vorweg: Stefan Wiesners Kochuniversum mag dem einen oder anderen komplex vorkommen, auf dem Teller schmecken seine Kreationen aber ausgezeichnet. So. Und jetzt bitte festhalten. Um das Herbst-Gourmetmenü von Stefan Wiesner zu verstehen, braucht es nämlich nicht nur sämtliche Sinne, sondern auch Kopf und Herz. Zwei Monate benötigte der «öppa füfzg»-Jährige zusammen mit seiner rechten Hand Rebecca Clopath und Chef de Partie Sandro Camiolo, um die sechs neuen Gänge zu komponieren. Musik ist in diesem Fall der Anfang, jedoch längst nicht alles. Aber der Reihe nach. Als Basis diente Wiesner der mystische Akkord – ein akustischer Tredezimalakkord –, der vom Komponisten Alexander Skrjabin in seinem letzten Orchesterwerk «Promethée Le Poème du feu» häufig verwendet wurde. Der Russe war einer der Ersten, der eine Verbindung zwischen Tönen und Farben arrangierte. Skrjabins Farb-Ton-Synästhesie findet im Gourmetmenü ihren Niederschlag. Jedem Gang sind ein Ton und eine Farbe zugeordnet.Eine wichtige Rolle spielt auch der italienische Mathematiker Fibonacci. Die von ihm entdeckte Zahlenfolge 1,1,2,3, 5,8,13... (Fibonacci-Folge) kommt überall in der Natur vor und lässt sich auch auf die Töne des mystischen Akkords anwenden. Für jeden Gang verwebt Wiesner einen Ton und eine Farbe mit einer bestimmten Farbenlehre, etwa mit jener von Athanasius Kircher, Goethe oder Newton. Für eine gewisse Leichtigkeit sorgen in den Gängen einzelne Fluxus-Elemente. Fluxus ist eine in den Sechzigerjahren entstandene Kunstrichtung, die unter anderem die gewollten Sinnestäuschungen propagiert.

Mit seinem Menü ist es dem mit 17 Gault-Millau-Punkten ausgezeichneten Stefan Wiesner und seiner Crew gelungen, Musik, Farben, Geschmack, Natur, Wissenschaft, Kunst und Mystik miteinander zu verbinden und in sechs Gängen zu servieren. Eine Leistung, die ihresgleichen sucht und zumindest in der Schweiz einzigartig ist. Auf den folgenden Seiten verzichten wir für einmal auf die detailgetreue Wiedergabe des Rezepts und stellen dafür Wiesners Grundüberlegungen zu den drei Gängen näher vor.

Gasthof Rössli, Hauptstrasse 111, 6182 Escholzmatt-Marbach, www.stefanwiesner.ch

A–bsinth, Jurakalk (Schweinebacken, gesalzene Speckgrauben, Sauce aus Salami, Fenchel fermentiert, Wirsing gedünstet, Ysopsauce mit Stevia, Absinthrauch)
C–anard, Barrique, Weinstein (wachsweiches Entenei, Brioche aus Traubenkernmehl, Entenbrustspeck, Entensuppe, Erde)
E–lementar Haselnuss (Blumenkohlchips, weisse Tomatenmousse, Estragondestillat, Blauschimmelkäse, blaues Salz, Haselnusslikörsauce, Zitronencrumble und Augen zu)
Stefan Wiesner (Mitte) mit seiner rechten Hand Rebecca Clopath und Chef de Partie Sandro Camiolo


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