Das Feuer für Schweizer Brände entfachen
Auf dem Teller ist der Trend gesetzt: Möglichst regional und saisonal. Im Glas sieht das bisweilen anders aus: Herr und Frau Schweizer trinken Whisky und Rum statt einheimischen Schnaps. Warum eigentlich?
Nur an den hohen Feier- und Festtagen wandelte sich der Mus- in einen währschaften Eintopf.
Der Eintopf ist im Alpenraum so etwas wie die Krönung der traditionellen Musküche, wie sie vor dem Durchbruch des Bäckerhandwerks über Jahrhunderte die Alltagsküche dominierte. Wenn aber früher in den über der offenen Feuerstelle hängenden Hafen oder Topf für die Zubereitung des Muses vor allem Milch und Molke, Getreide wie Hafer oder Hirse sowie Gemüse wie Kraut und Rüben kamen, waren das einfache Speisen. Nur an den hohen Feier- und Festtagen wandelte sich der Mus- in einen währschaften Eintopf, in dem zu diesen Gelegenheiten endlich einmal wieder Fleisch vor sich hin köchelte. Meistens im Herbst, wenn ein Teil des Viehs geschlachtet werden musste, um einerseits Vorräte für die bevorstehende karge Jahreszeit zu schaffen und andererseits den Viehbestand so weit zu dezimieren, dass die Futtervorräte den Winter hindurch reichten.
Ist das Mus in seiner ursprünglichen Form (Hirsebrei und Hafermus waren die Regel) fast komplett aus den heimischen Küchen verschwunden, haben die daraus entstandenen Eintöpfe überlebt – wenn auch mehr als Alltagsspeise denn als Festtagsmahl. In der Innerschweiz ist die Vielfalt besonders gross, wobei der Weisskohl in der Regel dazugehört. Die Differenzen liegen vor allem in der Verwendung von Schaf-, Lamm- oder Schweinefleisch, gelegentlich kann auch das früher wohl weit häufiger verwendete Rindfleisch den kleinen Unterschied ausmachen.
So bezeichnen die Schwyzer ihren Traditionseintopf als Hafechabis, der in erster Linie mit gut gewürztem Schweinsvoressen zubereitet wird. In selbstgemachter brauner Sauce wird das Fleisch zart gekocht, bevor die Chabisblätter ebenfalls in brauner Sauce weich gegart und dann kurz vor dem Servieren mit dem Fleisch vermischt werden. Der Urner Häfelichabis hingegen – eigentlich «Chabis mit Schaffleisch» genannt – wird ursprünglich fast ausschliesslich mit Schaffleisch zubereitet, und dies erst noch mit den Knochen. Es ist ein herbstliches Chilbigericht, dessen ältestes erhaltenes Rezept von 1749 stammt, wie der Urner Autor Karl Iten in seinem Werk «Rings ums Urner Chuchigänterli» festhält. Ein Rezept, bei dem der Eintopf ähnlich wie das heutige Siedfleisch nicht nur mit Chabis, sondern auch mit Lauch, Sellerie, Zwiebeln sowie Knoblauch gewürzt und aufgepeppt wird. Die herbstliche Schafmetzgete war auf den Urner Bauernhöfen einst gang und gäbe: Lagerfähigere und grössere Stücke wurden eingesalzen, geräuchert oder luftgetrocknet, während das Blut umgehend zu einem Bluät-Stunggis oder zu den traditionellen Blutwürsten verarbeitet wurde.
Auch im Wort Stunggis zeigt sich die alte Mus- und Eintopftradition. Zwar wird besagte Urner Variante aus dem Blut frisch geschlachteter Tiere mit Kartoffeln und Zwiebeln zu einer Art Rösti verarbeitet und der Begriff in Schwyz etwa in Form des Gummelistunggis als sicher originellster und eigenständigster Ausdruck für den schweizweit zum Herdöpfelstock vereinheitlichten Kartoffelbrei verwendet – allerdings ist das erst seit dem 18. Jahrhundert oder sogar noch später der Fall, als es nämlich der aus Südamerika stammenden Kartoffel gelungen war, sich auf den hiesigen Äckern und in den heimischen Küchen breit zu machen.
Schon lange als Stunggis bezeichnen ihr Eintopfgericht die Nidwaldner, die nichts mehr von Hafen oder Häfeli wissen wollten. Ihre Variante kommt dem populären Fleischeintopf der Schweizer Küche des 20. Jahrhunderts bereits sehr nah: vor allem mit dem günstigeren Schweinefleisch gekocht, mit den üblichen Suppengemüsen gewürzt und am Ende mit nicht allzu weich gekochten Kartoffeln, Lauch, Karotten und grünen Bohnen vermischt.
Rezepte gesucht
Die traditionellen Eintöpfe der Innerschweiz unterscheiden sich nicht nur von Kanton zu Kanton, sondern zum Teil von Hof zu Hof. So kommt in einer Familie vielleicht ein Gemisch aus Schaf-, Lamm- und Rindsvoressen in den Häfelihafestunggiseintopf, während in einer anderen noch ein Stück Ochsenschwanz oder eine Handvoll Dörrbirnen mitgekocht wird. Foodscout Dominik Flammer sucht nach genau solchen Geschichten und Rezepten – und freut sich über eine Einsendung per Mail. Und auch zu einem Obwaldner Zigerstunggis aus Ziger, Milch, Butter und Zucker würde er sich einladen lassen.
df@publichistory.ch