Das Feuer für Schweizer Brände entfachen
Auf dem Teller ist der Trend gesetzt: Möglichst regional und saisonal. Im Glas sieht das bisweilen anders aus: Herr und Frau Schweizer trinken Whisky und Rum statt einheimischen Schnaps. Warum eigentlich?
«Sind die Schweine glücklich, ist der Bauer glücklich.»
Ein Derby sei sie gewesen, die Ankunft, erinnert sich Hanspeter «Hampi» Cadonau. Als er 2010 sein Boot mit fünf Wollschweinen belud und damit über den Walensee setzte, kam das nur bedingt gut an. Vor allem eine Sau war so gar nicht einverstanden. Kaum in Quinten angekommen, nahm sie Reissaus, machte kehrt – und Anstalten, ans andere Ufer zurückzuschwimmen. Bauer Cadonau liess sich davon nicht beirren, und das eigensinnige Schwein gewöhnte sich mit der Zeit an seine neue Heimat. Heute hält der gebürtige Bündner oberhalb des nur auf dem Wasserweg erreichbaren 50-Seelen-Dorfs Quinten acht Wollschweine. Und wer die besucht, bekommt unweigerlich das Gefühl, als wolle hier so schnell keine mehr weg.
Der Weg zu Cadonaus schwalbenbäuchigen Mangalitzas, wie die Wollschweine auch heissen, ist ein Abenteuer. Das startet in Murg, am Hafen West, wo uns der Landwirt mit seinem Boot erwartet. «Ziemlich D-Day», sagt er und zeigt auf die polnische Freiluft-Spezialanfertigung. «Man hat mir gesagt, es sei unsinkbar.» Der 47-Jährige lacht, warm eingepackt in seinen schwarzen FC-St.-Pauli-Mantel, den Vereinsschal um den Hals und die Wollstrickmütze in der Stirn. Es ist ein eisigkalter Morgen, das Thermometer zeigt Temperaturen im zweistelligen Minusbereich. Noch liegt Quinten im Schatten, über den Berggipfeln jedoch ist der Himmel stahlblau. Wir tuckern im schaukelnden Kahn über den Walensee.
Drüben angekommen, steigen wir um auf Cadonaus «schnittigen Roten», seinen kleinen Traktor, fahren den steilen Hang hinauf, vorbei an den pittoresken Häusern und den Reben, von denen einige ihm gehören. Der Hof liegt auf einer Anhöhe, hier leben ein gutes Dutzend Ziegen und fünf Esel. In der improvisierten Stube wärmt ein kleiner Ofen, dampfen Tee und Atem. Später gehts zu Fuss weiter, noch etwas höher hinauf, zum Unterstand der Wollschweine. Die Mangalitzas von Bauer Cadonau leben in friedvoller Abgeschiedenheit, mit malerischem Ausblick über das Dorf, die Berge und den See. Cadonau blinzelt der Sonne entgegen. «Wirklich schön hier, nicht?» Allerdings, sogar so schön, dass man versucht ist, die Wollschweine zu beneiden – selbst im Wissen darum, dass sie beim Schlachter ihr Leben lassen werden. Die kompakten Viecher stapfen uns durch den frischen Schnee entgegen und begrüssen ihren Meister, der sie mit Karotten lockt und ihnen den kräftigen Nacken krault. «Sind die Schweine glücklich, ist der Bauer glücklich», sagt er. Seine Augen funkeln.
Zum Hof in Quinten kam Cadonau zufällig, so wie ihm vieles in seinem bewegten Leben einfach passierte, weil er es geschehen liess. «Das Erdbeben von Waltensburg» nannten sie ihn in den wilden Jugendjahren im Bündner Heimatdorf. Als junger Mann zog der gelernte Forstwart in die Welt hinaus, auch nach Portugal, wo er sein Glück als Wirt versuchte und lernte, wie man es nicht macht. Er kehrte zurück, brauchte Geld und heuerte am Walensee bei einem Schalungshersteller an. So wurde aus Cadonau der Tunnelbauer, der auf der ganzen Welt an Grossprojekten mitwirkte und sich nach ein paar Jahren selbstständig machte. Heute beschäftigt er in seiner Firma zehn Mitarbeiter und finanziert damit sein Landwirtschaftsprojekt in Quinten, Waltensburg und neuerdings Weesen. Irgendwann, sagt Cadonau, sollen die Schweinezucht und der Weinbau, den er zurzeit fast noch intensiver betreibt, nicht mehr nur Hobby sein, sondern eine eigenständige Einnahmequelle und die Hauptsache in seinem Leben. In diesem Sinne expandiert der passionierte Freigeist fröhlich. Und beschloss soeben, eine weitere alte Tierrasse anzuschaffen. Aus Bayern will er Murnau-Werdenfelser-Rinder importieren.
Die Mangalitzas holte Cadonau vor sechs Jahren in erster Linie nach Quinten, damit diese die Ziegen und Esel beim Roden unterstützen, das Weideland abgrasen und die Verwaldung des Grundstücks verhindern. Während gewöhnliche Schweine mit dem rauen Klima am Berg nicht klarkommen, haben die wollhaarigen Tiere damit keinerlei Probleme. «Sie sind sehr robust», schwärmt Cadonau. Die langen, gekrausten Borsten erinnern nicht nur optisch an Wolle, sondern halten das eng mit dem Wildschwein verwandte Mangalitza tatsächlich warm. Es kann das ganze Jahr draussen leben und braucht kaum mehr als einen Unterstand und eine Suhle. «Die Schweine kosten mich praktisch nichts», sagt der Landwirt. Er verfüttert ihnen Kartoffeln, die er für wenig Geld bei einem Gemüsebauern in der Region bekommt, der diese ihrer Form wegen nicht regulär absetzen kann. «Das ist die eigentliche Schweinerei, aber so bleiben die Kartoffeln wenigstens Teil der Nahrungskette.» Rund zwei Jahre leben die Wollsäue bei Cadonau, entweder in Quinten oder in Waltensburg auf dem Biohof eines Freundes. Zeit genug, glückliche Tiere zu sein. «Ich habe mit der Schlachtreife keine Eile.»
Das ist Cadonau wichtig. «Mangalitzas wachsen langsam, aber das dürfen sie bei mir auch», sagt er. «Der Ertrag mag ein Witz sein, aber die Qualität ist hervorragend.» Dank der dicken Fettschicht ist das Wollschweinefleisch besonders aromatisch. Das Frischfleisch (Filet, Steak, Kotelett) vertreibt Cadonau direkt in die Gastronomie, den Rest lässt er in der Fleischtrocknerei Sialm bei Disentis weiterverarbeiten. Die ersten Feedbacks bestärken Cadonau auf seinem Weg. In der Sagibeiz in Murg steht ein Schmorbraten auf der Karte und entpuppte sich die «Wollschwein-Woche» als voller Erfolg. Auch Spitzenköche bekunden Interesse an den regionalen Produkten. Den Bauern freuts, klar, er bleibt aber dabei: «Bei mir wird es immer nur dann Fleisch geben, wenn es halt gibt.» Auf Kommando produzieren – nur schon der Gedanke daran widerstrebt ihm.
Es ist das wohl sensibelste Thema für Cadonau überhaupt: das Schlachten seiner Tiere. Dass sich der Weg bis zum Schlachthof in Mels (mit Traktor und Boot) nicht vermeiden lässt, weil das Töten vor Ort für Fleisch, das für den Verkauf bestimmt ist, nicht erlaubt ist, ärgert ihn. «Das ist schlecht: für uns, für die Tiere und die Fleischqualität», beklagt er sich – und erinnert sich mit funkelnden Augen an die erste Sau, die ein befreundeter Metzger damals noch direkt auf dem Hof metzgete. «Das Fleisch war eine Wucht – eben auch weil das Tier am Ende keinem Stress ausgesetzt war.» Wir stehen inmitten der Mangalitzas im Schnee, als Cadonau erzählt, er müsse in wenigen Tagen entscheiden, welche vier der acht Schweine als Nächstes zum Schlachter sollen und welche zu Herkules, dem schönen Eber mit den prächtigen Hauern. «Die Selektion», brummt er und es schüttelt ihn regelrecht, als er die letzten Karotten aus der Jackentasche kramt. «Die Selektion hasse ich wie die Pest.» Dass sie dazugehört, steht für ihn, selbst Sohn aus einer Bauernfamilie, ausser Frage. Cadonau kennt die Kreisläufe der Natur. Und geht es darum, die zu respektieren, ist er nicht gewillt, Kompromisse einzugehen – für Fleisch von glücklichen Tieren. Denn sind die Schweine glücklich, ist es Bauer Hampi auch.
Es ist die Rückkehr eines Lieblings: Das Mangalitza (auch Woll- oder Schafschwein) stammt ursprünglich aus Ungarn, war einst aber in ganz Europa verbreitet. Es galt nicht nur als anspruchsloses Weidetier, sondern war insbesondere für seine ausgezeichnete Speckqualität bekannt. Mit der Industrialisierung der Nutztierzucht jedoch wurde das Wollschwein im 20. Jahrhundert von schneller wachsenden Rassen verdrängt. Heute gilt die Art als vom Aussterben bedroht. Pro Specie Rara und die 1994 gegründete Schweizerische Vereinigung für die Wollschweinzucht haben sich darum zum Ziel gesetzt, das wohl älteste domestizierte Hausschwein zu erhalten. Aktuell verzeichnet der Verein 248 Halter mit 2368 registrierten Tieren (davon 147 Zuchtsauen und 50 Zuchteber). Die Zahlen seien seit Jahren stabil bis leicht steigend, sagt Präsidentin Petra Stichnothe auf Anfrage. Das Mangalitza mit seinen hellen, krausen Borsten ist so dicht behaart wie kein anderes Hausschwein. Das Haarkleid und die dicke Speckschicht schützen das robuste Tier vor extremer Witterung, es wird kaum krank und kann ganzjährig draussen leben. Während es selbst wenig Ansprüche stellt, wird sein Fleisch hohen Erwartungen gerecht: Das langsame Wachstum verleiht diesem eine hervorragende Qualität mit hohem Wasserhaltevermögen und wenig intramuskulärem Fett.
www.wollschwein.ch
Ein Grossteil des Fleischs von Hanspeter Cadonaus Wollschweinen wird im kleinen Bündner Bergdorf Segnas bei Disentis getrocknet. Dort, auf 1300 Meter über Meer und bei idealen klimatischen Bedingungen, stellt die Familie Sialm seit 1955 nach traditioneller Methode Trockenfleischspezialitäten her. Anselm Sialm, der den Betrieb in zweiter Generation führt, ist mit Schweinebauer Cadonau klar auf einer Wellenlänge: Für beide stehen die schonende, naturnahe Verarbeitung und die Qualität des Produkts an oberster Stelle. Beim Trocknen heisst das konkret: erst salzen, dann pressen und trocknen – mehr nicht. Bei Sialm werden dafür keine Kulturen angesetzt oder Geschmacksverstärker zugefügt, er verwendet ganz gewöhnliches Speisesalz und heizt oder kühlt die Räume nur dann, wenn es für den Trocknungsprozess auch wirklich nötig ist. Was es brauche, sei Geduld, erklärt er: «Wenn man dem Produkt Zeit lässt, kommt der Geschmack heraus, ohne dass man etwas beigeben muss.» Entscheidend sei dabei die tägliche Kontrolle von Feuchtigkeit und Temperatur. «Das ist die Kunst: immer dranzubleiben.» Aus dem Wollschweinefleisch stellt Sialm zwei Trockenwürste her (die mit Rindfleisch gemischten Andutgel sowie eine Variante mit Kartoffel und Blut), dazu Coppa, luftgetrockneten Schinken und Speck.
www.sialm.ch