Japanisch inspiriert, heimisch produziert

Als Würzmittel hat sich die Sojasauce auch in unseren Küchen einen Platz erobert. Patrick Marxer von Das Pure tüftelt derzeit an einer Variante aus Schweizer Zutaten – mit Acker- statt Sojabohnen.
Text: Virginia Nolan – Fotos: Njazi Nivokazi
Veröffentlicht: 14.05.2019 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2019
Die Idee einer Schweizer «Sojasauce» trug Marxer lange mit sich herum: «Warum Sojabohnen, wenn wir einen solchen Reichtum an heimischen Erbsen, Bohnen, Ölfrüchten und Getreiden haben?»

«Wir befinden uns noch in der klinischen Phase.» 

Früher experimentierte er als Laborant, heute tut er das als führender Kopf von Das Pure im Zürcher Oberland. Hier veredelt Patrick Marxer vornehmlich Fleisch, Fisch und Nüsse, wurstet, räuchert und pröbelt an vielerlei Delikatessen, für die er in der Gastronomie bekannt ist. Sein neustes Experiment reift in vier Plastiktonnen, die zwischen Produktion und Fabrikladen stehen. Marxer hebt das Abdecktuch über der ersten, der Blick fällt auf eine grünlich-trübe Brühe, die Blasen wirft. «Hier ist die Vergärung noch in vollem Gang», sagt er, «nach etwa zehn Tagen hört es auf zu schäumen.» Sagts und zeigt auf die Tonne nebenan, in der die Fermentation bereits einen Monat fortgeschritten und die Maische dunkler ist. Was Marxer hier fabriziert, ist wie Sojasauce, einfach mit Acker- statt Sojabohnen. «Warum Sojabohnen», fragt er, «wenn wir einen solchen Reichtum an heimischen Erbsen, Bohnen, Ölfrüchten und Getreiden haben?» Die Idee einer Schweizer «Sojasauce» trug Marxer lange mit sich herum, ein Kleinversuch vor zwei Jahren sei in die Hose gegangen, «der Pilz war höchstwahrscheinlich zu reif».

Der Pilz, das ist der Aspergillus oryzae, ein Edelschimmelpilz. In Japan hat er etwa die gleiche Bedeutung wie in unseren Breitengraden Hefe für die Brot-, Bier- und Weinproduktion und kommt beim Brauen von Sake, Mirin, Sojasauce oder Miso-Paste zum Einsatz. Zusammen mit einem Stärke- und einem Proteinträger bildet er ein Substrat, das die Japaner Koji nennen. Es ist die Grundlage für die anschliessende Fermentation. Als Stärkebasis verwendet Marxer Buchweizen, den er vorher röstet, anschliessend kommen in gleicher Menge die gekochten Ackerbohnen als Proteinträger hinzu. An dieser Mischung macht sich dann der Schimmelpilz zu schaffen, den Marxer selbst gezogen hat. Während 48 Stunden lässt er das Substrat aus Buchweizen, Ackerbohnen und Pilz ruhen, dann kommt es mit Wasser und Salz in die Tonne. «Bei der Fermentation baut der Pilz Stärke in Zucker um und bricht die Proteinketten auf», erklärt Marxer. Daraus resultiert unter anderem das unverkennbare Umami-Aroma, das auch der Sojasauce eigen ist. Vereinfacht gesagt, ist Umami nämlich nichts anderes als der herzhafte Geschmack gespaltener Proteine.

Aber auch diverse Bakterien leisten ihren Beitrag: «Hefepilze bauen den Zucker zu Alkohol ab», sagt Marxer, «und Essigsäurebakterien aus der Luft wandeln den Alkohol in Essigsäure um.» All diese Vorgänge verleihen der Maische mit der Zeit einen herzhaften Geschmack und eine charakteristische dunkle Farbe. Nach vier Monaten Reifezeit in der Tonne wird Marxer sie auspressen und filtrieren: Die klare Sauce, die dabei entsteht, kommt dann für einige Monate ins Barrique-Fass, das sie geschmacklich noch bereichert.

Ackerbohnen-Maische (von rechts): nach einem Tag, nach zehn, nach 14 und nach 28 Tagen
Substrat aus geröstetem Buchweizen, gekochten Ackerbohnen und dem Edelschimmelpilz Aspergillus oryzae
Die «Sojasauce» aus Schweizer Ackerbohnen reift zunächst vier Wochen lang in Plastiktonnen, dann kommt sie für einige Monate ins Barrique-Fass, das sie geschmacklich noch bereichert.

Mit Soja- oder eben Ackerbohnensauce ist es für Marxer vermutlich nicht getan – diesen Eindruck bekommt zumindest, wer einen Blick in seinen «Stall» wirft. So nennt Marxer zurzeit den kleinen Raum hinter den Plastiktonnen, in dem er die Temperatur so reguliert, dass der Aspergillus oryzae unter idealen Bedingungen arbeiten kann. Hier hat Marxer in Kleinbehältern Versuche für Miso-Paste angesetzt: unter anderem mit Baumnussmehl, Hafer oder Gelberbsen. Eine Variante aus Ackerbohnen reift bereits in einem mit Steinen beschwerten Holzfass. «Das ist eine reine Bohnen-Miso», sagt Marxer, «drei Jahre wird es dauern, bis sie ihren vollen Geschmack entwickelt hat.»

So lange muss zum Glück nicht warten, wer von Marxers Ackerbohnensauce kosten will. Die rund 260 Liter, die er und sein Team produziert haben, sollen voraussichtlich im September dieses Jahres in den Verkauf kommen. Demnächst stehen die ersten Laboruntersuchungen an. «Wir befinden uns also noch in der klinischen Phase», sagt Marxer und lacht, «aber da bin ich zuversichtlich.» Den Gaumentest besteht die Sauce aus Fass vier – sie ist einen Monat gereift – auf jeden Fall: Sie belohnt die Sinne mit herzhaften, vollmundigen Noten, die unverkennbar an das Original aus Japan erinnern.

Einzigartig machen die Sauce von Marxer nicht nur ihre Ingredienzen – es gibt bisher kein Sojasaucen-Pendant helvetischer Provenienz –, sondern auch die Tatsache, dass sie probiotisch ist, dass sie also lebende Mikroorganismen enthält, denen eine bekömmliche Wirkung auf den Körper nachgesagt werden. Auf die Bohne ist Marxer nicht ohne Grund gekommen. «Die pflanzenbasierte Ernährung nimmt zu», sagt er, «entsprechend möchten wir unseren Fokus erweitern. Fleisch wird natürlich weiterhin eine gewichtige Rolle spielen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass Das Pure in ein paar Jahren auch eine vegane Molkerei betreiben wird.» Weitere Experimente seien jedenfalls geplant, stellt Marxer in Aussicht. So will er zum Beispiel das kulinarische Potenzial heimischer Erbsen und Bohnen ausloten und hat sich zu diesem Zweck mit dem Getreidezüchter Peter Kunz aus Feldbach zusammengetan. Vom rechten Zürichseeufer kommen auch die Ackerbohnen fürs Sojasaucen-Pendant. «Hierzulande sind Ackerbohnen nur als Futtermittel gefragt», sagt Marxer. «Es wäre ein schöner Nebeneffekt, wenn Bauern durch Projekte wie unseres attraktivere Abnehmer für diesen Rohstoff hätten.»



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