Das Feuer für Schweizer Brände entfachen
Auf dem Teller ist der Trend gesetzt: Möglichst regional und saisonal. Im Glas sieht das bisweilen anders aus: Herr und Frau Schweizer trinken Whisky und Rum statt einheimischen Schnaps. Warum eigentlich?
In unserer Nachbarschaft kannten die Kinder den Mais allenfalls in Form von Cornflakes.
Den Ruf der Arme-Leute-Nahrung konnte der Mais seit seiner Einführung im 16. Jahrhundert in der Schweiz nie richtig ablegen. Ebenso wenig wie der Buchweizen, die «schwarze Polenta». Dabei ist die heimische Küche reich an Gerichten mit dem Türkenkorn und dem Sarazenenweizen, die im Südtirol auch Gelb- und Schwarzplenten genannt werden. Nicht zuletzt in Kombination mit der Kartoffel – zum Beispiel für eine Plain in Pigna aus Graubünden.
Regional begrenzt
Die Generation meiner Eltern hat den Mais wohl erst in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts kennengelernt, auf ihren ersten Reisen ins Tessin und nach Italien, dort aber vorwiegend als Polenta. Und meist nur als Beilage zum Brassato, dem italienischen Braten, in der Regel serviert mit viel Sauce. Zumindest kochte meine Mutter in unserer Kindheit gelegentlich einen Rheintaler Türggenribel, den sie oft mit einem als Holderzone bezeichneten Fruchtkompott aus reifem Holunder auftischte. In unserer Nachbarschaft kannten die Kinder den Mais allenfalls in Form von Cornflakes. Und als ihre Väter ihre Barbecue-Passion zu entdecken begannen, landeten ab den Achtzigerjahren zunehmend auch Maiskolben auf dem Grill. Zehn Jahre später tauchten dann die Tortilla-Chips auf, denen die Avocado ihren Aufschwung in Form der mexikanischen Guacamole verdankt, in die man die trockenen Mais-Chips taucht.
Die traditionellen Mais- und Buchweizenrezepte aus dem Tessin, aus Graubünden, aus dem St. Galler Rheintal oder aus der Linthebene und dem Kanton Schwyz schafften es bis heute kaum über ihre Region hinaus, trotz einer ungemeinen Vielseitigkeit. Das hängt damit zusammen, dass der asiatische Buchweizen und der amerikanische Mais hierzulande vorwiegend in den Föhntälern angebaut wurden, in den meisten Gegenden aber allerhöchstens als Viehfutter. Während sich die Kartoffel nach den beiden letzten grossen Hungersnöten der Schweiz (1771/72) und vor allem nach dem Jahr ohne Sommer (1816) auch dank vielseitiger staatlicher Förderung grossflächig durchsetzen konnte, halfen Maissubventionen nicht einmal dann, als die Kartoffeln Mitte der Vierzigerjahre des 19. Jahrhunderts wegen eines aus Amerika eingeschleppten Pilzes in den Böden zu verrotten begannen. Breit angelegte Kampagnen der Kantone, die im Jahr 1847 lanciert wurden und mit denen aufgezeigt werden sollte, in welchen Gegenden sich Speisemais anbauen liesse, blieben grösstenteils ohne Erfolg. Noch weit über ein Jahrhundert lang fristete das amerikanische Getreide in der Schweiz ein reines Nischendasein.
Der Sterne-Gastronomie voraus
Dabei bemühten sich die erfolgreichsten Kochbuchautorinnen des Landes immer wieder darum, den hiesigen Hausfrauen die vielfältigsten Maisrezepte schmackhaft zu machen. Allen voran der gemeinnützige Frauenverein von Chur, der 1905 ein einzigartiges Büchlein unter dem Titel «Koch-Rezepte bündnerischer Frauen» veröffentlichte. Dieses erlebte zahlreiche Auflagen und wurde mehrfach überarbeitet. Ein Kapitel widmeten die Bündnerinnen dem Mais – insbesondere dem grob-gemahlenen Maismehl, der Bramata, die selbst von der Sterne-Gastronomie erst Jahrzehnte später entdeckt wurde.
Kreativ waren sie, die Bündner Köchinnen, und im ganzen Kanton tauchte schon damals die Polenta taragna auf, ein Gemisch aus Buchweizenmehl und Polenta. Selbst für den Maluns fand sich schnell eine Variante, bei der Mais und Kartoffeln miteinander vermählt wurden, quasi in Form von Ribel-Maluns. Das spannendste Gericht aus dieser fantasievollen Epoche, in der die Bündnerinnen die neuen Nutzpflanzen zu verwenden begannen, dürfte allerdings die Plain in Pigna sein, im Dialekt auch Ofenpitte genannt – eine Mischung aus Kartoffeln, Weizen- und Maismehl, die unter Beigabe von Rosinen oder Dörrbirnenstückchen und Speck im Ofen gebacken wird.
Schliesslich, im 20. Jahrhundert, verwandelte sich das Rezept allmählich: Mit dem Aufkommen der Röstiraffel begann man nämlich auch in Graubünden, die Kartoffeln für das Gericht nicht mehr in Würfelchen zu schneiden, sondern sie roh zu reiben – und so wurde die schmackhafte Kombination zu einer Art Ofenrösti. Zwei Varianten des Ur-Rezeptes bieten die Bündnerinnen in ihrem längst vergriffenen Büchlein – neben anderen spannenden Kreationen wie Hexenpolenta, Türkenpult und Türkenmaluns, Amplis oder aber Plain Grass.
Rezepte gratis beziehen
Das anno 1905 zum ersten Mal veröffentlichte Büchlein «Koch-Rezepte bündnerischer Frauen» gehört zu den umfassendsten und spannendsten Werken der Schweizer Kochbuchgeschichte. Es ist bis in die Fünfzigerjahre in insgesamt acht Auflagen erschienen und umfasst auf 200 Seiten rund 500 traditionelle Rezepte aus dem ganzen Kanton Graubünden – Rezepte mit klingenden Namen wie Brasköc, Farüdi oder Taschetti.
Inzwischen ist das Büchlein längst vergriffen. Autor Dominik Flammer hat sein eigenes Exemplar aber vollständig digitalisiert und stellt es interessierten Leserinnen und Lesern von Salz & Pfeffer kostenlos zur Verfügung. Bei Interesse reicht ein Mail an redaktion@salz-pfeffer.ch.