Angezapft

Barley Wine: Süffig ist anders

Not macht erfinderisch. Diese einfache Regel beherzigten Genussmenschen im England des späten 18. Jahrhunderts. Aufgrund der Napoleonischen Kriege blieben die begehrten französischen Weinlieferungen aus. Welch Enttäuschung für die Geschmacksknospen der Oberschicht und des Adels! Es ist also wenig verwunderlich, dass die Aristokraten, um ihren Durst nach Berauschendem zu stillen, kurzum das Herstellen eines Weinersatzes befahlen. Im Zuge dessen brauten findige Landsleute besonders starkes Bier und lagerten dieses anschliessend in Wein-, Cognac-, Whisky- oder Portfässern. Das so entstandene Bier wurde schlicht Barley Wine genannt, also Gerstenwein. Weil dieser jedoch seit jeher aus Getreide und nicht aus Früchten hergestellt wurde, handelt es sich zweifelsohne um ein Bier – mit vom Rebensaft inspiriertem Alkoholgehalt.

Das Ale wird obergärig und mit viel Stammwürze gebraut. Diese gibt an, wie viele Stoffe sich vor dem Gärprozess aus Malz und Hopfen im Wasser gelöst haben. Als Faustregel gilt: Ein Drittel der Stammwürze ergibt den Alkoholgehalt. Entsprechend weisen die Ales einen hohen Alkoholgehalt zwischen neun und 14 Volumenprozent auf.

Heute gibt es neben dem britischen Stil auch einen amerikanischen. Während die europäischen Vertreterinnen im Aroma eher blumig und wenig bitter sind, trumpfen die amerikanischen Biere fruchtig und bitter auf. Charakteristisch sind für beide die klare Hopfennote und süsse Malzaromen. Auf den Bierflaschen amerikanischer Brauereien steht auf dem Etikett oft Barley Wine Style Ale.

Der Antrunk ist wegen des hohen Alkoholgehalts süss, der Hopfen entfaltet spätestens beim Abgang einen starken Eindruck. Süffig ist anders – und so erfolgt der Griff zum bierigen Wein nicht automatisch nach einer kräftezehrenden Wanderung. Dabei lohnt sich das Einschenken dieses bernstein- oder gar schwarz-farbenen Trunks sehr! Wie so oft beim Genuss von komplexen Lebensmitteln ist auch hier der richtige Moment entscheidend.

Barley Wine funktioniert als Begleitung zum Dessert wunderbar, ob zu einer Käseplatte oder einem Stück Schokoladenkuchen. Das komplexe Getränk erfordert allerdings Zeit. Aber diese nehme ich mir zum Schluss eines feinen Essens noch so gerne.

Carole Gröflin

Präsidentin der Gesellschaft zur Förderung der Biervielfalt
Ausgabe: Salz & Pfeffer 2/2023 / Datum: 04.04.2023


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