Meine Fastenzeit startet früher als jene der Kirche. Und ist deutlich kürzer: Ich habe mir den Februar als alkoholfreien Monat ausgesucht. Meine Motivation ist nicht die asketische Vorbereitung auf die Ostertage. Ich war noch Studentin, als ich beschloss, dass ich auch ohne Alkohol gut ins neue Semester starten könne. Obwohl ich schon seit einiger Zeit einen Monat auf Alkohol und ab und zu auf ein Bier verzichte, bin ich immer wieder erstaunt, welche Phasen ich in diesen vier Wochen durchlaufe.
Phase 1: Verdrängung. Die ersten Tage ohne Alkohol gehen zu Hause spurlos an mir vorbei. Ich räumte noch Ende Januar den Biervorrat aus dem Kühlschrank – aus den Augen, aus dem Sinn. In der Öffentlichkeit dann kommen unangenehme Fragen und neugierige Blicke. Ich versichere, dass meine Abstinenz temporär ist, bestelle ein alkoholfreies Bier und wechsle hastig das Thema. In diesem Jahr besonders fies: Ich habe selber eine Vorstandssitzung Anfang Februar einberufen, wir treffen uns in einer Brauerei. Ich bestelle Kombucha, die Gspänli schauen mich irritiert an: «Das ist aber kein Bier, das du da trinkst», bemerkt ein Kollege. «Ich mache einen Monat alkoholfrei», sage ich rasch. Ich blicke reihum in fragende Gesichter, der Kollege erwidert: «Okay, das musst du selber wissen.» Der Februar sei ja schnell rum, schiebe ich nach. Meine Nonchalance erntet Gelächter.
Phase 2: Wut. Nach einem gemeinsamen Abend laufe ich mit meiner Freundin zum Bahnhof. Sie ist etwas angeheitert, wir diskutieren weiter über unsere Projekte. Ich höre ihr aufmerksam zu und ertappe mich immer wieder beim Gedanken: «Wow, ihre Fahne liegt förmlich in der Luft.» Ihr Atem ist faulig, und als ich sie zum Abschied umarme, kriege ich einen weiteren muffigen Schwall mit. Wütend liege ich später im Bett: Hätte ich ihr sagen sollen, dass sie mir nicht ständig ins Gesicht hauchen soll? Sind ich und meine Ausdünstungen zeitweise auch derart wüst? Angeekelt versuche ich, den Geruch zu vergessen.
Phase 3: Verhandlung. Ein Grossteil des Monats ist rum, ich bin auf dem Weg an ein Geburtstagsessen. Allenfalls gibts dann doch ein Gläschen, um auf das Geburikind anzustossen, denke ich. Und erlaube mir insgeheim bereits ein Abweichen. Die Runde ist spassig und ich bestelle tapfer ein alkoholfreies Bier. «Für mich bitte auch», sagt eine Kollegin. Aha, ich hatte mich vergebens gesorgt. Bleifrei ist en vogue. Als ich beim Dessert den offerierten Schnaps dankend ablehne, freut sich der Kollege über seine doppelte Portion.
Phase 4: Akzeptanz. Normalerweise geht der Februar rasch vorüber, und ehe ich mich versehe, ist März. Dann stosse ich gerne wieder auf das Leben an. Heuer trank ich mein erstes Bier bereits im Februar: Die aktuelle weltpolitische Lage gab mir die Absolution dafür. Unangenehm und irgendwie auch passend, dass ich dafür ein übermässig saures Bier wählte.