Kulinarische Beute

Blutiger Herbsttrost

Die Rezepte auf Facebook, mit denen ferne oder nahe Bekannte und Freunde ihre Eierschwamm- oder Steinpilzfunde präsentierten, konnte ich diesen Sommer kaum zählen: in Kombination mit Milken, mit Käsespätzle, auf Erbsenmousse, mit Saibling, als Pfifferlingsquiche oder mit Frischkäse eingewickelt in Nudelteig. Oder einfach mit Kräutern in Butter geschwenkt.

Zeit, selber in die Pilze zu gehen, hatte ich keine, umso mehr genoss ich den Besuch bei einem Freund auf der Alp, als dieser mich mit einem Korb voll praller, kleiner Steinpilze empfing. «Die grossen habe ich stehen lassen, hatte schlicht zu viele davon», so sein lapidarer Kommentar. Drei Tage lang kochten wir Steinpilze, backten, trockneten und panierten sie. Auf alle erdenkliche Arten. Eine Woche nach meinen Ferien gönnte ich mir dann ein Kilogramm Kaiserlinge aus Italien (einen meiner Lieblingspilze), die ich im Grosshandel ergattert hatte, wenn auch für einen stattlichen Preis. Ein prächtiger Pilzsommer also. Ungewöhnlich daran nur, dass ich in diesem Jahr nicht einen Schwamm selber gefunden habe. Ein Jammer, denn das Finden und Sammeln ist die schmackhafte und würzige Zutat, die man auch mit den allerbesten Rezepten und Kochtechniken nicht hinkriegt.

Gottlob bleibt der Herbst. Die edleren Pilze werde ich jetzt zwar nicht mehr finden, dafür aber einen meiner absoluten Lieblinge, für den ich in tieferen Lagen mit dem Bus nur mal schnell an den Stadtrand fahren muss, in den ersten Wald hinein, in dem es einige Föhren und sonstiges Nadelgehölz hat. Denn ab September – sofern es im August etwas geregnet hat und der Waldboden nicht staubtrocken ist – wuchert er allüberall: der Blutreizker. Er ist ein in unseren Breitengraden verkannter Pilz. Nicht so jedoch in Spanien oder Italien, wo er gar zu heftigen Nachbarschaftsfeden führt, bei denen auch schon mal Blut geflossen sein soll. Blutig tropft es auch aus dem Pilz, wenn man ihn anschneidet. Auf Lateinisch heisst er Lactarius deliciosus. Ich nenne ihn «Herbsttrost» in den Jahren, in denen ich die Hauptjagdsaison nach Pilzen verpasst habe.

Die Spanier braten den Blutreizker auf dem Feuer oder legen ihn für den Winter ein, ähnlich wie Essiggurken. Als «Rovellones» sind sie dort auch im Handel erhältlich. Ich selber halte mich bei der Zubereitung an ein altes Familienrezept: die Pilze in feine Streifen schneiden, etwas salzen und mit Mehl bestreuen. Dann eine Bratpfanne mit zwei Deziliter Sonnenblumenöl füllen und die Reizker in kleinen Mengen kurz frittieren, bis sie knusprig sind. Tüchtig schwarzen Pfeffer aus der Pfeffermühle dazu – und fertig sind die Blutreizkerchips.

Dominik Flammer

Autor, Ernährungsforscher und Betreiber der Agentur Public History Food, Zürich
Ausgabe: 5/2020 / Datum: 01.09.2020


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