Kulinarische Beute

Obst im Glas

Sie quirlen Algen in linksgedrehtem Wasser oder pressen eingelegte Hibiskusblüten mit Federkohl durch ihre Entsafter, würzen Molke mit Tonkabohnen oder quetschen aus fermentierten Randen den Saft heraus. Eine spannende Entwicklung, die sich landauf und landab in der Gastronomie breitmacht, damit wir in Sterne-Lokalen auch mal eine alkoholfreie Getränkebegleitung geniessen können, die nicht nur aus aromatisierten und aufgezuckerten Industriegetränken besteht.

Köchinnen oder Gastronomen, die solcherlei auch ohne technischen Einsatz und trendige Getränkebibeln anbieten möchten, hätten es in der Schweiz eigentlich leicht. Denn sie ist die Urheimat der alkoholfreien Obst- und Beerensäfte. Nur leider landen bei aller Innovationsbereitschaft der grossen Mostereien viel zu wenige Obstsorten auch wirklich im Glas – mit Ausnahme der gebrannten Obstwässerchen natürlich. Vor allem der Apfel kommt so zur Geltung, in Form von Süssmost und hauptsächlich als Schorle, seit dieser Begriff für einen Mix aus Mineralwasser und Obstsaft (oder gelegentlich auch Wein) aus Deutschland in die Schweiz eingewandert ist. Früher nannte man das hier schlicht einen gespritzten Süssmost.

Dass wir heute über alkoholfreie Obstsäfte verfügen, verdanken wir dem Botaniker und Rebenzüchter Hermann Müller-Thurgau. Dieser umtriebige Forscher aus dem thurgauischen Ermatingen ist in erster Linie als Vater der Riesling-Silvaner-Traube in die Geschichte eingegangen. Obwohl sein Verdienst, der Erfinder der alkoholfreien Fruchtgetränke zu sein, weit höher einzuschätzen ist. Denn Müller-Thurgau war es, dem es in der Zeit nach 1900 gelang, Trauben- oder Apfelsaft so zu filtrieren und zu pasteurisieren, dass er nicht nur schmackhaft, sondern auch haltbar und, ohne zu gären, abgefüllt und vertrieben werden konnte. Alkoholfreien Süssmost gab es zwar bereits zuvor, doch dies nur in den ersten Stunden nach der Pressung, da die Gärung und dabei die Alkoholbildung bei den Obst- und Beerensäften schon nach wenigen Stunden einsetzt.

Das sollten sich hiesige Wirte und Gastronominnen zunutze machen. Nicht nur, weil ein Schweizer dieses Verfahren quasi erfunden hat, sondern auch, weil sich die Schorle allmählich zu einem der beliebtesten alkoholfreien Getränke unseres Landes entwickelt. Um hier bei den Gästen zu punkten, muss auch niemand abwarten, bis ein Getränkekonzern mal wieder ein neues Schorle-Produkt kreiert. Es benötigt einzig den Kontakt zu einem Obstbauern, der seine Quitten, Kirschen, Zwetschgen, Birnen oder auch Aprikosen presst und pasteurisiert – sodass man im Lokal eine Vielzahl an gespritzten Obstsäften anbieten kann. Und das ganz ohne Handelsmarge und Altglasentsorgung.

Dominik Flammer

Autor, Ernährungsforscher und Betreiber der Agentur Public History Food, Zürich
Ausgabe: Salz & Pfeffer 6/2020 / Datum: 13.10.2020


Was bisher geschah:
Blättern Sie durchs Salz & Pfeffer
der Vergangenheit.
zum Archiv





Seite teilen

Bleiben Sie auf dem Laufenden – mit dem kostenlosen Newsletter aus der Salz & Pfeffer-Redaktion.

Salz & Pfeffer cigar gourmesse