Kulinarische Beute

Verkanntes Schwesterchen

Auch wenn der Schnee durchaus noch(mals) kommen könnte, wird ein heimisches Grün bereits vor der Fastnachtszeit auftauchen – in Marinaden, auf Nudeln, in Teigtaschen oder selbst als Farbtupfer auf blassgrünen peruanischen Flugspargeln: Bärlauch. Wieder wird er vielerorts als Alibi für das Frühjahr hinhalten und ein wenig auch als gar arg riechendes Feigenblättchen für ein kleines bisschen Regionalität.

Der Bärlauch ist ein frühes Pflänzchen, letztes Jahr habe ich die ersten Jungtriebe gemäss Beuteeintrag schon am 7. Februar gepflückt. Und nur dann, denn die grossen Blätter mag ich nicht mehr, zu scharf, zu dominant sind sie mir. Vor allem weil schon kurz darauf ein anderes wildes Lauchkraut aus dem Boden schiesst, ein weit edleres, eines mit nur einem flüchtigen Schuss Knoblauch: die Knoblauchsrauke (auch Lauchhedderich genannt, lateinisch Alliaria petiolata).

Dieses zarte Schwesterchen des Bärlauchs ist übrigens allüberall zu finden – sobald man es einmal kennengelernt hat. Und es lässt sich auch in jedem Kräutergärtchen anpflanzen. Allerdings ist die Knoblauchsrauke im Geschmack weit flüchtiger als der Bärlauch – was ihr nicht zum Nachteil gereicht, aber bedingt, dass man sie frisch verwendet. Derweil wurden die allermeisten Bärlauchpasten, die im Vorfrühling auf den Teller kommen, schon im Vorjahr eingemacht. Weil sie also nicht konservierbar ist, wird der Knoblauchsrauke die Vielseitigkeit ihres scharfen Verwandten abgesprochen. Völlig zu Unrecht: Wer würde denn der Butter ihre Vielseitigkeit absprechen, nur weil sie nicht so lange haltbar ist wie die Margarine?

Die herzförmigen Blätter der Knoblauchsrauke bezaubern als frühlingshaftes Gewürz, zum Beispiel mit fein gehobeltem Alpsbrinz und nicht allzu fein gemörserten Walnüssen in einem unvergleichlichen Pesto, gerne auch mit etwas Olivenöl und einem Hauch Chili. Selbst aus ihren Wurzeln lässt sich eine leicht nach Meerrettich schmeckende Wildkräuterpaste mixen und später im Jahr aus ihren Samen auch ein geschmackvoller grüner Kräutersenf. So ganz nebenbei gehört sie aber eigentlich zum Pflichtwissen eines jeden Koches und einer jeden Köchin, denn die Knoblauchsrauke ist das mit Abstand älteste bekannte Gewürz unserer Breitengrade. In Vergessenheit geraten sein dürfte sie wie einst der Bärlauch, weil sie als Armeleutegewürz verschrien war. Dabei ist sie eine wahre Delikatesse – im Handel nicht erhältlich, sondern ausschliesslich beim Bauern oder der Bäuerin des Vertrauens.

Dominik Flammer

Autor, Ernährungsforscher und Betreiber der Agentur Public History Food, Zürich
Ausgabe: 1/2020 / Datum: 03.02.2020


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