Vor 20 Jahren lebten meine Partnerin Sonja Stummerer und ich in Japan. Als Architektin und Architekt hatten wir einen Job bei Pritzker-Preisträger Arata Isozaki in Tokio gefunden, und wir arbeiteten zwölf Monate lang in seinem Atelier. Kaum eine Erfahrung hat uns und unser Denken so sehr geprägt. Kaum eine Kultur hat uns so sehr inspiriert. Der japanische Zugang zur Architektur beeindruckte uns ebenso sehr wie jener zum Essen. Damals begannen wir, uns für die Esskultur zu interessieren – und erstmals in diese Richtung zu recherchieren.
Im Juni 2002, kurz vor unserer Rückkehr nach Wien, führten wir ein längeres Gespräch mit Arata Isozaki. Er erklärte uns, dass die Jahre nach 1945 eine tiefe Auseinandersetzung mit Architektur erforderten. Die verheerenden Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges verlangten laut Isozaki die Entwicklung völlig neuer Behausungsformen und revolutionärer städtebaulicher Ideen. Doch nun sei die Architektur nicht mehr so wichtig. Die grosse, ja essenzielle Frage des 21. Jahrhunderts, so Isozaki, betreffe das Essen. Unser japanischer Meister sagte damals zu uns, dass die Bereitstellung von sozial und ökologisch nachhaltiger und gesunder Ernährung die grösste Herausforderung der Zukunft sei. Er riet uns, die Architektur an den Nagel zu hängen und verantwortungsbewusste Fooddesigner zu werden. Wir haben seinen Rat befolgt.
Die damals angesprochene Zukunft ist längst da. Isozaki ist am 28. Dezember 2022 auf der Insel Okinawa leider verstorben.
Ausgerechnet an diesem Tag waren wir in Japan. Ein trauriger Zufall. Wir verneigen uns tief vor Arata Isozaki. Sein Rat, sich dem Essen statt der Architektur zu widmen, entspringt einem tiefen Verständnis für das und einem grossen Respekt vor dem Essen. Die japanische Kultur ehrt das Essen wohl mehr als jede andere. Das irritiert und ruft Bewunderung hervor. Während unseres letzten Besuchs in Tokio waren wir beinahe jeden Abend mit japanischen Freunden und Freundinnen essen. Das Wissen über die verwendeten Zutaten, deren Herkunft und kulinarische Qualitäten ist enorm und mit Europas lächerlicher Gutergeschmackangeberei nicht zu vergleichen. Über etwas Bescheid zu wissen, ist Wertschätzung. In Japan werden Lebensmittel geehrt. Von Köchinnen und von Gästen. Davon dürfen wir uns im Abendland gut und gern inspirieren lassen.