Ausgefressen

Fäkalien: Ein gutes Geschäft

Vor wenigen Wochen realisierten meine Partnerin Sonja Stummerer und ich im grenznahen Dornbirn eine Eat-Art-Performance zur Kreislaufwirtschaft, einem Begriff beziehungsweise einer Idee, die momentan ziemlich chic durch die grünliberalen Debatten geistert. Inspiriert von natürlichen Lebenskreisläufen, soll so ziemlich alles vom Menschen Produzierte wieder und wieder aufbereitet und weiterverwendet werden. Das ist eine coole Sache, die sich verdammt gut für Greenwashing verwenden lässt. Plötzlich sind alle Lebensmittelverpackungen, sogar jene aus Plastik, voll recyclefähig. Wow! 

Besonders augenscheinlich ist der natürliche Kreislauf beim Essen. Wir essen Natur. Wir verwerten die Natur. Wir geben der Natur allerbesten Dünger in Form von Fäkalien zurück. Alles wächst. Ist das nicht grossartig? Jede Art von Food Design, jedes Rezept, jede Form der Kochkunst wird auf der Toilette zum Abschluss gebracht und irgendwann der Erde rückerstattet. 

Bis vor 100 Jahren war das ein gutes Geschäft. Unternehmer unterhielten Fuhrparks und hatten Angestellte, um Fäkalien in Städten, zum Beispiel in Paris, einzukaufen, zu verladen und anschliessend an umliegende Bauernhöfe zu verscherbeln. Irgendwann wuchsen Europas Städte zu schnell, produzierten zu viel Scheisse und der Markt brach wegen Überproduktion zusammen. Abgesehen davon zwang eine Epidemie namens Cholera (und die Entdeckung der Bakterien durch Robert Koch) die Menschen zum Bau von Kanalisationen, einem System wohlgemerkt, das bereits im antiken Rom angewendet worden war. Kaiser Vespasian wird übrigens der legendäre Spruch «pecunia non olet» (also: Geld stinkt nicht) zugeschrieben – nachdem er eine eher unbeliebte Urinsteuer eingeführt hatte. Heute ist es völlig normal, für den Abtransport menschlicher Ausscheidungen eine monatliche Gebühr zu bezahlen, bloss wissen wir nicht mehr, was damit eigentlich passiert. 

Irgendwo soll es Kläranlagen geben, die das gesamte Abwasser, also eine tendenziell stinkende Mischung aus Fäkalien, Duschgel, Putzmittel, Urin und viel, viel Trinkwasser, einigermassen reinigen. Die Bestandteile werden getrennt und halbwegs weiterverwendet. Mit Kreislaufwirtschaft hat das nicht so viel zu tun. Das ginge auch gar nicht. Kürzlich hörte Sonja im Rahmen einer Klimakonferenz in Potsdam einen Vortrag zur Verwertbarkeit menschlicher Fäkalien. Und, naja, das ist nicht so einfach, denn diese sind derart mit Schwermetallen belastet, dass eine Verwendung als Dünger schlicht verboten ist. Wir fressen offenbar so viel Scheisse, dass ebendiese zu verseucht ist, um sie der Erde zumuten zu können. Wir sollten wirklich an uns arbeiten. 

Martin Hablesreiter

Fooddesigner
Ausgabe: Salz & Pfeffer 6/2023 / Datum: 16.11.2023


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