Ausgetrunken

Achtsamkeit im Glas

Anhänger hochwertiger Darjeelings kennen die Abkürzung SFTGFOP. Sie steht für die höchste Qualitätsstufe, namentlich Special Finest Tippy Golden Flowery Orange Pekoe. Die erste Ernte (First Flush) der zarten Blätter, die «Tips», werden nur von Hand gepflückt, nach der Verarbeitung sofort verpackt und in die Teegeschäfte der Welt geliefert. Und dann sind da noch der Kukicha aus Japan, ein Grüntee, der nur aus Stängeln besteht, oder der Karigane, der aus Blattrippen und nur zu einem kleinen Teil aus den Blättern bester Senchas oder Gyokuros gemacht wird. Man nennt den Karigane auch Tee der Teefarmer, lange wurde er gar nicht nachgefragt. Die Kombination von viel Umami und Aminosäuren, wenig Koffein, angenehmer Edelbitterkeit und erfrischender Würze findet allerdings mehr und mehr Anhänger, und so landen zunehmend nicht mehr nur die Blätter der hochwertigen Teebüsche in den Kannen dieser Welt.

Die Akzeptanz von Stängeltee zeigt nicht zuletzt den neuen Fokus auf Nachhaltigkeit in Küche und Bar. Was da am Ende des Tages nämlich übrigbleibt, ist nicht gerade wenig: Maishaar, Gurkenschalen, Erdbeergrün, Stängel von der Minze oder dem Basilikum – die Liste ist so gross wie die Menge der Abschnitte, die im besten Fall als Kompost noch einen guten Job machen, im schlechtesten aber schlicht in den Müll wandern.

Gerade in diesen unruhigen Zeiten muss ein möglichst komplettes Verwerten von Produkten bei Restaurants und Bars ganz hoch im Kurs stehen, denn am Schluss ist ein effektiver Materialeinsatz mitentscheidend für den Gewinn. In jeder Küche und in jeder Bar müsste auf einem grossen Schild «Leaf to Root» stehen. Das ist nicht nur der Titel des Standardwerks von Esther Kern, sondern auch der Name der grossen Gemüseaktion, die sie 2014 ins Leben rief und die das Potenzial der gesamtheitlichen Verwendung der Pflanze aufzeigt.

Dabei gehts um eine Haltung, also darum, eine Pflanze ganz und gar zu verwerten: inklusive Schalen, Kerne oder Blätter. Warum nicht aus den Schalen der (Bio-)Gurke mit einem Oleo Saccharum aus den Zesten der Zitrusfrüchte und Mineralwasser eine gute Gurkenlimonade herstellen? Dafür einfach die Schalen mit etwas Limettensaft und Wasser eine Nacht im Kühlschrank ziehen lassen, am nächsten Tag Ingwer mit Zucker aufkochen, ziehen und abkühlen lassen. Dann alles vermischen und durch ein Sieb giessen. Mit Mineralwasser auf Eis und einer Gurkenschale als Deko serviert, ist auch gleich das Thema fürs Tischgespräch gesetzt. Eine andere Idee: Erdbeergrün-Sirup (dafür das Erdbeergrün für ein paar Stunden in Zucker einlegen) mit Verjus und Mineralwasser aufgiessen – und fertig ist ein Drink, der zarte Erdbeeraromen ins Glas bringt.

Aber zurück zum Stängeltee. Nach zwei Aufgüssen sorgt der als Topping im Salat oder, leicht püriert, im Frischkäse für grasig-aromatische Highlights. Win-win und Cin Cin!

Nicole Klauss

Kulinarische Autorin und Gastronomieberaterin, neuetrinkkultur.de
Ausgabe: Salz & Pfeffer 5/2021 / Datum: 12.10.2021


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