In naher Zukunft werden Sie auf den Getränkekarten Weine finden, für die niemals Trauben geerntet wurden, sowie Whiskeys, die nie ein Fass von innen sahen. Und im Cocktail oder im Dessert werden Sie Honig bekommen, der nicht von Bienen, sondern aus dem Labor stammt. Klingt nach Science-Fiction, Star Wars und Speisen von der Jedipedia-Liste?
Ist aber Realität. Da ist etwa die Ava Winery aus San Francisco, deren Geschäftszweck darin liegt, berühmte Weine im Labor nachzubauen. Dafür analysierte das Team einen teuren Wein, zerlegte ihn im Gas-Chromatografen in seine chemischen Bestandteile und baute ihn eben nach: mit Wasser, Aromen, Zucker, Salz, Ethanol und ein paar Aminosäuren. Kein Weinberg, keine Pestizide, weniger Wasser und vor allem weniger Zeit: In 15 Minuten ist der laborgemachte Wein fertig. Nachhall, Volumen, Viskosität oder Tannine? It’s all about molecules! Inzwischen hat sich die ursprüngliche Geschäftsidee verändert – man wollte dann doch keine Plagiate produzieren. Die Ava Winery heisst jetzt Endless West und stellt Whiskey und Sake in vitro her. Die Verantwortlichen nennen das Molecular Exclusives.
Beim Food-Tech-Start-up Bee-Io südlich von Tel Aviv hingegen sind echte Bierfreundinnen und -freunde am Werk. Sie arbeiten an einem Honig aus dem Labor. Die herkömmliche Methode gefährde die Bienen; Honig könne Giftstoffe, Pestizide und Antibiotika enthalten, heisst es hier. Und: Die Biotechnologie erlaube die Versorgung mit preiswertem veganem Honig ohne gesundheitsgefährdende Rückstände. Win-win also. Und schliesslich ein letztes Beispiel: Bei vielen der alkoholfrei destillierten Spirituosen werden die Botanicals eben auch nicht liebevoll im Kupferkessel mit Alkohol mazeriert, sondern es kommen Pipetten mit Aromen zum Einsatz.
Jetzt mal ehrlich: Wer braucht die häufig übermanipulierten Weine aus der Neuen Welt? Sie enthalten jetzt schon Hefe, Zucker und Megapurple, ein Traubenkonzentrat, das Geschmack und Farbe bringt. Wer will diesen Fake-Honig aus China auf Basis von Reisbrei und Kaffeeblütenpollen? Ein Viertel der global produzierten Honige stammt aus China, das seine Honigproduktion seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt hat. Ein nicht unwesentlicher Teil davon ist gestreckt oder gefälscht.
In Zeiten von Klimawandel, Umweltverschmutzung und verstärktem Fokus auf den CO2-Fussabdruck sind Lebensmittel aus dem Labor nur noch eine Frage der Zeit. Übrig bleiben Winzerinnen, die ihre Weine auf traditionelle Art herstellen, Imker, die ihren Bienen beste Bestäubungsbedingungen bieten und sie mit Honig statt Glukosesirup ernähren, und Spirituosenproduzentinnen, die mit Kräutern und klassischer Mazeration arbeiten. Kurz: diejenigen, die sich Zeit nehmen und ihren Job mit Herzblut und Engagement machen.
An Kundschaft wird es nicht mangeln – und zwar weder für das Original noch für das In-vitro-Produkt.