Der Dry January ist vorbei. Und wieder waren sie da, die Dry-Januaryaner, die auf den Social-Media-Kanälen riefen: Seht her, ich trinke schon seit zwölf Tagen keinen Alkohol! Die Kommentare kamen in der Regel aus der Bubble. Man feierte sich. Auf der anderen Seite waren da jene, die diesen «Hype» nicht mitmachen – und das ebenfalls öffentlich verkündeten. Der entsprechende Hashtag: #dryjanuaryfail. Es wurden Drinks und Flaschen gepostet.
Jörg Meyer von der Hamburger Bar de Lion wurde im «Spiegel» dazu zitiert: «Ein neues Jahr kommt, und all die Selbstoptimierer stehen wieder in den Startlöchern, ab dem 1. Januar werden sie ihre Weisheit in unsere Timeline schütten, sie werden sich überlegen fühlen. Dry January, werden sie schreiben, nein schreien. Mir erscheint das kleingeistig.» Und schon seit 1874 besingt der junge Prinz Orlowsky sein bekanntes Couplet «Ich lade gern mir Gäste ein» aus der Operette «Die Fledermaus». Seine Haltung zum Gastgebertum: «Und schenke Glas um Glas ich ein, duld ich nicht Widerspruch; nicht leiden kann ichs, wenn sie schrein: Ich will nicht, hab genug!»
Die Sache ist ja die: Der Dry January ist nicht einfach ein Social-Media-Hipster-Ding, sondern geht auf die vor zehn Jahren (Glückwunsch!) lancierte englische Kampagne Alcohol Change UK zurück. Die Beweggründe dafür lagen auf der Hand und waren unschön: Viele Briten und Britinnen tranken zu viel Alkohol. Immerhin trinken jetzt Jahr für Jahr weniger von ihnen zu viel Alkohol. Allerdings steigen jeweils ab Ende Januar in den Onlineshops die Umsätze bei den alkoholischen Getränken auch wieder an.
Dass nicht immer alles Schöne beisammen ist, sehen wir in Japan: Weniger Alkoholkonsum bedeutet nämlich auch geringere Steuereinnahmen. Die japanische Regierung nahm alleine im ersten Pandemiejahr umgerechnet rund 800 Millionen Franken weniger über die Alkoholsteuer ein als in der vorausgegangenen Zeitspanne, eben weil die japanische Bevölkerung weniger Alkohol getrunken hatte. Dieser Trend scheint sich fortzusetzen, denn die Reaktion darauf war die Kampagne Sake viva der nationalen Steueragentur: Damit wurden 20- bis 39-Jährige aufgerufen, ihre Ideen für mehr Alkoholkonsum von jungen Menschen einzureichen. Bevor Sie fragen: Das Gesundheitsministerium war bei diesem Unterfangen nicht einbezogen worden.
Aber zurück zum Phänomen Dry January: Elisabeth Raether nennt diesen in der «Die Zeit» einen verbreiteten Wunsch, sich selber zu bestrafen. Die eigentliche Freude dabei bestehe «wahrscheinlich vor allem darin, sich moralisch überlegen zu fühlen». Wäre es an dieser Stelle nicht eigentlich die Aufgabe von Journalistinnen und Bartendern, Alternativen aufzuzeigen, statt Öl ins Debattenfeuer zu giessen? Kann nicht jede und jeder einfach machen, was sie oder er meint – und alle anderen sein lassen? Also, um es mit den Worten des jungen Prinzen Orlowsky zu sagen: «Chacun à son goût.»