Anschnitt

Der Teller ist mindestens halbvoll

Weisst du noch, damals, im Sommer 2020? Von der zweiten Welle sprach man, trug Maske in Bahnen und Bussen und schaute ein bisschen sorgenvoll in die Zukunft und auf die Infektionszahlen. Aber die Welle blieb dann doch nur ein Wellchen, wurde flacher und flacher, stürzte Anfang 2021 in sich zusammen. Auch wenn die Wintersaison 2020/21 noch verhalten ausfiel, war das Gesamtergebnis des Jahres viel besser, als man während des Lockdowns befürchtet hatte. Die Schweizer entdeckten ihr eigenes Land wieder! Im Frühjahr 2021 kamen dann auch die Chinesen wieder, die Araber, die Inder. Nicht so viele wie zuvor, aber dafür ausgestattet mit mehr Zeit. In fast allen Hotels erhöhte sich die durchschnittliche Verweildauer. Statt zweier Tage blieben die Kunden nun oft vier oder fünf. Sie besuchten Restaurants in der Umgebung, Käseproduzenten, Konditoren. Eine neue Achtsamkeit war zu beobachten.

Klar, nicht alle Gastronomen und Hoteliers haben überlebt. Aber die mutigsten und konsequentesten unter ihnen hatten bald wieder Grund zum Lachen. Überdauert haben ausserdem die digitalen Speisekarten, die reduzierten Menüs, die Double Seatings. Ein paar Wirte konnten sogar Preiserhöhungen durchsetzen, weil sie nun noch stärker als zuvor auf regionale Produkte achteten. Als die Maskenpflicht im Sommer 2021 schliesslich endgültig abgeschafft wurde, explodierte die Nachfrage nach authentischem Essen und individuell geführten Hotels regelrecht. Es war ein bisschen wie damals, in den Goldenen Zwanzigern des letzten Jahrhunderts. Hurra, wir leben noch! Und wir gönnen uns nun eine extra schöne Flasche Wein, ein paar feine Gänge, ein Wochenende mit Wellness und mit viel Natur. 2022 war dann ein Rekordjahr für das Schweizer Gastgewerbe der neuen Zeitrechnung und die Gelegenheit, entspannt zurückzublicken. Weisst du noch, wie wir es zusammen geschafft haben?

Wolfgang Fassbender

Gastronomie- und Weinjournalist
Ausgabe: 5/2020 / Datum: 01.09.2020


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