Anschnitt

Ode an den Saucenlöffel

Man muss nur auf alte Restaurantfotos schauen. Oder Menschen fragen, welche die 50 überschritten haben. Die Gourmetseniorinnen und -senioren werden dann erzählen, dass sie einst neben dem Messer am rechten Rand des Tellers noch ein anderes Besteckstück vorzufinden pflegten. Jüngeren Geniessern sei hiermit gesagt, dass es sich um einen Löffel handelte, aber um eine spezielle Variante. Ein Löffel ohne Wölbung. Ideal, um kleine Mengen Flüssigkeiten von Tellern aufzunehmen. Ein Meisterstück der Schmiedekunst, eine geniale Erfindung, ein unverzichtbares Werkzeug für jenen Esser, der die Interpretationen des lokalen Sauciers zur Gänze auskosten wollte.

Anders als der Suppen- oder Dessertlöffel ist jener für Saucen gefertigte dennoch fast verschwunden. Nur hin und wieder taucht er noch auf, in altmodischen Speiseetablissements, die nicht mitbekommen haben, dass dieses spezielle Gerät längst vom weltweiten Controlling gestrichen wurde. Das bisschen Jus lasse sich, antworten die Rappenzähler, ja auch mit Kartoffeln vermengen oder notfalls mit Brot auftunken. Insgeheim wollen die Sparfüchse aber zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und die Saucenmenge reduzieren. Weshalb mit dem Saucenlöffel auch gleich die Saucieren verschwanden.

Wer heute nach Saucennachschlag fragt, wird schief angeschaut. Wer um einen Saucenlöffel bittet, gilt als Freak. Dabei eignet sich dieses Teil sogar besser zum Zerteilen von Fisch als das Fischmesser, das ja oft (Seeteufel, Garnelen, Hummer) nutzlos ist. Eigentlich sollten massenhaft Saucenlöffel angeschafft werden. Bis es so weit ist, empfehle ich den privaten Saucenlöffel zum Mitnehmen. In der Innentasche des Sakkos oder in der Handtasche kann man ihn spazieren führen und auffällig unauffällig neben dem eingedeckten Besteck platzieren. Ein Wink mit dem Zaunpfahl!

Wolfgang Fassbender

Gastronomie- und Weinjournalist
Ausgabe: Salz & Pfeffer 4/2021 / Datum: 31.08.2021


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