Man müsse wissen, wie man mit ihm umgehen soll. Das sagte mir letztes Jahr, augenzwinkernd, eine ehemalige Mitarbeiterin des Restaurants Überfahrt am bayerischen Tegernsee. Gemeint war Christian Jürgens, seit vielen Jahren als Chef des dreifach besternten Etablissements amtierend. In der Branche bekannt als smart, kreativ, grössenwahnsinnig, unkollegial und cholerisch. Man rümpfte die Nase, mied den Kontakt. Dass er auch Mitarbeitende sexuell belästigt haben soll, wusste ich nicht.
Ob ich intensiver hätte nachfragen sollen? Die Ex-Mitarbeiterin, mit der ich auf einer Weinverkostung plauderte, und andere? Vielleicht. Eine aufdeckende Geschichte, wie sie kürzlich über Jürgens erschien, hätte schon Jahre früher publiziert werden können. Allenfalls müsste demnächst noch eine erscheinen. Über Herrn B., der für seine Brüllerei in der Küche bekannt ist. Über Herrn R., der früher ein schlimmer Finger war. Oder über Herrn H., der sich als Souschef gegenüber weiblichen Angestellten benahm wie die Sau im Walde. Für eine Story indes braucht es Handfestes. Aussagen, Zeuginnen und Zeugen, Relevanz und eine gewisse Aktualität. Gar nicht so einfach.
Zumal Schweigegebote gelten. Man redet nicht gern über das, was am Herd passierte und – trotz vieler Verbesserungen – noch passiert. Die Kollegialität führt, in Verbindung mit Stressresistenz, zu Scheu, öffentlich über Missstände zu sprechen. Viele haken Drangsalierungen ab, bezeichnen Choleriker als Charakterköpfe oder kündigen leise. Ein Hauch von Omertà.
Gastrokritikern und -kritikerinnen fehlen meist die Mittel, das Schweigen zu brechen. Vielleicht hülfe es aber schon ein bisschen, wenn sie aufhörten, von Sterneköchinnen und Sterneköchen zu reden. Es geht um Sterneteams. Auf dass sich Küchenchefs nicht mehr als Götter fühlen.