Anschnitt

Rausch statt Verzicht

Ist Fine Dining eigentlich noch zeitgemäss im Jahr 2024? Angesichts der Preise, die da und dort aufgerufen werden, offenbar schon. In Paris besonders. Guy Savoy, bekanntester Zwei-Sterne-Koch Frankreichs, verlangt 680 Euro fürs Menü. Pro Person, ohne Wein und Wasser, mittags wie abends. Ganz ehrlich: Da bekomme ich Fracksausen. Bis ich einen Sponsor finde oder im Lotto gewinne, streiche ich Monsieur Savoy von der Liste zu besuchender Köche.

Doch den Hype für den kleinen Kreis vermögender Was-kostet-die-Welt-Esserinnen können nicht alle hoch bewerteten Lokale mitmachen. Angesichts von Krieg und Inflation fühlt sich mancher Stammgast nämlich gerade fehl am Platze in guten Lokalen und macht sich rar. Vegane Ernährung ist ja im Trend, Intervallfasten gilt als chic. «Finde im Verzicht Genuss», sagte schon Laotse, und viele folgen ihm nach. Sie wollen länger leben, kaufen Selbstoptimierungsbücher und schwören nicht nur dem Alkohol ab, sondern auch Kohlenhydraten. Viel Geld fürs ausgedehnte, fettreiche Essen wirkt da anachronistisch. Man muss es als Zeitgeist bezeichnen.

Die, die dem Geist was husten und gegen den Strom schwimmen, gibt es zum Glück immer noch. Sie bestellen eine Flasche Wein zur à la minute gegarten Ente und danach nicht nur Dessert, sondern auch Digestif. Sie scheren sich nicht um jene, die komisch gucken, und loben sogar – Sakrileg! – den elaborierten Rausch. Und sie finden Restaurants, die mit der Zeit gehen, ohne freudlos zu wirken. Das neu konzipierte Zürcher Orsini bietet ein Mittagsmenü zu 62 Franken an, im Tiger in Solothurn gibt es gemüsereiches Sharing-Food in vier Gängen zu verblüffenden 88 Franken, und in Berlin hat das renommierte Faelt gerade, gegen den inflationären Trend, den Preis fürs Abendmenü auf 99 Euro gesenkt. Fine Dining von morgen!

Wolfgang Fassbender

Gastronomie- und Weinjournalist
Ausgabe: Salz & Pfeffer 1/2024 / Datum: 13.02.2024


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