Nur Liebe für die Zwiebel
Die Knolle des weltweit beliebten Liliengewächses ist die Grundlage der meisten Kocherei. Je mehr wir über sie wissen, desto mehr gelingen uns tolle Gerichte.
«Es gibt auf der Welt nicht viele Brauereien, die Forschung in diesem Ausmass betreiben.»
Sie arbeiten seit Jahrzehnten in der Bierforschung und bezeichnen sich selbst als Fossil hier. Was ist an Ihrer Arbeit eigentlich so toll?
Birgitte Skadhauge: Ich bin wirklich schon sehr lange hier. 1987 startete ich als Studentin am Carlsberg Laboratorium, in der Folge besetzte ich diverse Positionen in der Forschung, seit vier Jahren amte ich als Vizepräsidentin des Instituts. Und ich finde es immer noch unheimlich spannend, wie für ein Bier so viele verschiedene Zutaten zusammenpassen müssen, damit ein Ganzes entsteht. Ausserdem ist das Bierbusiness ziemlich sozial, man lernt tolle Menschen kennen. Das mit Wissenschaft, mit Chemie und Genetik, verbinden zu können, ist für mich die perfekte Kombination. Ich habe echt Glück mit meinem Platz bei Carlsberg: Es gibt auf der Welt nicht viele Brauereien, die Forschung in diesem Ausmass betreiben.Tatsächlich ist
Carlsberg sehr auf das «Bier der Zukunft», wie Sie es nennen, fokussiert. Was heisst das?
Das Ziel ist klar: Wir wollen unser Bier in Richtung Umweltfreundlichkeit führen. Das beginnt bei den Zutaten und geht bei den Produktionsprozessen, etwa beim Mälzen oder Brauen, weiter. Mit der ursprünglichen reinen Hefe und dem Gerstengenom, das wir kürzlich entschlüsselt haben, halten wir wichtige Werkzeuge in den Händen, um das Optimum aus den Rohstoffen herauszuholen. Wenn es uns gelingt, dieses Wissen mit all den modernen Technologien, die uns heutzutage zur Verfügung stehen, zu kombinieren, können wir in Sachen Nachhaltigkeit noch eine Menge bewirken. Anzeige:
Aber ganz konkret: Wie soll es sein, das Bier der Zukunft?
In erster Linie soll es gut schmecken, sodass es der Biertrinker mag und kaufen will. Dann aber möchten wir es eben auch umweltfreundlich herstellen können. Es ist mir persönlich wichtig, dass wir die natürlichen Ressourcen effizient nutzen, dass wir Bier nachhaltig produzieren, dass wir mit weniger Wasser und weniger Energie auskommen – und dabei die Qualität des Biers beibehalten oder diese sogar verbessern.
Im Rahmen Ihrer Forschung haben Sie genau dafĂĽr neue Gerstensorten gezĂĽchtet. Was zeichnet diese aus?
Bei unseren sogenannten Null-Lox-Gersten, von denen wir bislang drei Generationen entwickelten, liegt der Fokus auf Qualitätsmerkmalen: auf einer besseren Schaumstabilität, mehr Klarheit und einer längeren Frische, zum Beispiel. Sie sind aber auch darauf ausgelegt, weniger Energie und weniger Wasser zu brauchen. Die sogenannte klimatolerante Gerste ist ein eigenes Kapitel: Sie soll in all unsere künftigen Züchtungen einfliessen. Denn wenn eine Gerste gut mit Trockenheit oder Hitze umgehen kann, wird es einfacher, sie in Ländern wie Indien oder Australien zu kultivieren – und auch da Bier mit Rohstoffen aus der Region zu produzieren. Das gilt ebenso für Europa: Es ist oft trocken. Wir bauen in die klimatolerante Gerste eine Art Versicherung ein, die den Bauern hilft, eine bessere Ernte einzufahren: mengenmässig, aber auch qualitativ.
Gibts auch Nachteile?
Bislang bemerkten wir keine. Es stecken natürlich viel Zeit und Arbeit in diesen Entwicklungen – was jedoch unser Problem ist. Die Bauern, die mit den neuen Gerstensorten arbeiten, sind damit eigentlich glücklich. Wir suchen den Dialog mit ihnen regelmässig, besuchen sie und holen ihr Feedback ein. Die erste Null-Lox-Generation ist bereits recht verbreitet, die jüngste Generation noch nicht in grossen Mengen erhältlich. Sobald wir aber mehr Saatgut zur Verfügung haben, sollen die Bauern in verschiedenen Teilen der Welt auch davon erhalten. Wir sind da offen: Wer Interesse daran hat, unsere Null-Lox-Gerste zu nutzen, schliesst mit uns einen Vertrag ab – und kann sie in seiner Mälzerei oder Brauerei verwenden.
Ein wichtiger Punkt. Es sind nicht alle glücklich damit, wie Sie mit den Resultaten Ihrer Forschung umgehen. Vor dem Europäischen Patentamt kams zu Protesten, nachdem sie die Schutzrechte auf drei ihrer Braugersten erhielten. Erwarteten Sie das?
Nicht wirklich. Ich bin der Meinung, dass es normal ist, seine Erfindung mit einem Patent zu beschützen. Wir wollen das ja alles offen handhaben und unsere Resultate auch anderen zur Verfügung stellen, keine Frage – aber wir möchten auch weiterforschen. Und dafür brauchen wir Geld. Wenn wir also ein Patent erhalten und Lizenzen vergeben können, verschafft uns das ein kleines Einkommen, das uns hilft, die Forschung voranzutreiben und eine nächste Generation zu entwickeln, die den Bauern eine bessere Ernte beschert und es uns ermöglicht, weiter Energie und Wasser zu sparen ...
Die Kritiker aber sagen: Gerste ist ein Produkt, das uns die Natur geschenkt hat – keine Firma sollte sie besitzen.
Ich sehe diesen Punkt. Aber ich sehe auch einen anderen. Wir haben viel investiert. Wenn ZĂĽchter fĂĽr ihre Arbeit keine Gegenleistung erhalten, passiert irgendwann gar nichts mehr. Ausserdem: Wir halten andere ja eben explizit nicht davon ab, das Resultat unserer Forschung zu nutzen. Wir beantragen ein Patent, ja, aber dann gehen wir sofort an die Ă–ffentlichkeit damit und teilen, was wir herausgefunden haben.
Und wann profitiert eigentlich der Konsument davon?
Nun, wir arbeiten in erster Linie an einer konstanten Verbesserung des Materials, die der Verbraucher in diesem Sinne vielleicht nicht wahrnimmt – aber er hat schon heute etwas davon: Er trinkt besseres Bier.
Wissensdurst – Erfindungen haben bei Carlsberg eine lange Tradition. Am firmeneigenen Laboratorium in Kopenhagen entwickelten Wissenschaftler beispielsweise die pH-Skala sowie das Konzept für Proteinstrukturen und die Charakterisierung von Enzymen, die uns das Kleiderwaschen bei tiefen Temperaturen ermöglichen. Zudem erarbeitete der Forscher Emil Christian Hansen 1883 eine Methode, um Hefe zu reinigen – und damit dem Phänomen der sogenannten Bierkrankheit die Stirn zu bieten. Carlsberg stellte ihre reine Hefe damals betroffenen Brauereien rund um den Globus zur Verfügung. 133 Jahre später – also 2016 – entdeckte man in den alten Kellern der Brauerei in Kopenhagen eine Flasche von anno dazumal, die noch lebende Hefe enthielt. Im Rahmen des Re-Brew- Projekts gelang es Wissenschaftlern, diese Hefe nicht nur zu exrahieren, sondern sie sogar wiederzuverwenden: Das Carlsberg 1883 ist also eine Rekreation des weltweit ersten mit reiner Hefe gebrauten Biers. In der Schweiz ist es bislang nicht erhältlich.
Code geknackt – Mit Wissenschaftlern aus neun anderen Ländern gelang den dänischen Forschern von Carlsberg heuer erneut ein Durchbruch: Sie entschlüsselten das Gerstengenom komplett – und damit die DNS einer der wichtigsten Getreidearten der Welt. Mit der Sequenz lassen sich neue Sorten züchten, die etwa besser mit Klimabedingungen wie Hitze oder Trockenheit umgehen können, widerstandsfähiger gegenüber Pflanzenkrankheiten sind oder eine gesteigerte Malzproduktion ermöglichen. Schon 2016 meldeten die Biergiganten Carlsberg und Heineken drei Braugersten zum Patent an. Die Schutzrechte beziehen sich auf zwei natürliche Mutationen sowie auf deren Kombination im Rahmen einer konventionellen Züchtung. Das Vorgehen sorgte bei diversen Organisationen (zum Beispiel Umweltverbänden, aber auch bei Brauern, Bauern oder Bäckern) für grossen Unmut: Es handle sich, so die Kritiker, bei den patentierten Pflanzen um keine Erfindung, da die Besonderheiten auf zufällige Veränderungen im Erbgut zurückgingen, wie sie auch in der konventionellen Züchtung genutzt würden.
Facts & Figures – Die Carlsberg-Gruppe gehört zu den führenden Brauereikonzernen der Welt und besitzt ein umfangreiches Portfolio an Bieren sowie anderen Getränken. Das Unternehmen, dem in der Schweiz Feldschlösschen gehört, beschäftigt nach eigenen Angaben weltweit mehr als 41 000 Menschen und ist auf über 150 Märkten tätig. Anlässlich des 170. Geburtstags lud Carlsberg Ende August Journalisten aus der ganzen Welt nach Kopenhagen ein und stellte diesen an zwei Tagen unter anderem die neusten Errungenschaften vor. Das Interview mit der dänischen Forscherin Birgitte Skadhauge, Vizepräsidentin am Carlsberg Laboratorium, entstand im Rahmen dieser Einladung.
www.carlsberg.ch