Plädoyer für mehr Wissensdurst

Als charakterstarkes, vom Terroir und der Fermentation geprägtes Genussmittel muss Kaffee den Vergleich mit Wein nicht scheuen. Warum aber behandeln wir die beiden Genussmittel so verschieden?
Text: Sarah Kohler – Fotos: Stefan Kaiser
Veröffentlicht: 19.03.2018 | Aus: Salz & Pfeffer 2/2018

«Wir wissen eine Menge über Cabernet, Merlot und Chardonnay, aber nur wenig über die Kaffeesorten.»

Es war auf einem Flug von London nach Zürich. Şeyma Baş blätterte in einem Kaffeemagazin und staunte nicht schlecht: Was sie da las, war der Weinexpertin verblüffend vertraut. «Die beschäftigen sich mit den gleichen Fragen wie wir», erkannte sie – und beschloss, die Parallelen von Wein und Kaffee genauer unter die Lupe zu nehmen. In Philipp Schallberger fand sie bald einen ebenso kompetenten wie neugierigen Partner von der «Gegenseite»: Seither diskutieren die beiden über «ihre» Getränke. Darüber, was diese ausmachen, darüber, wie Klima, Böden oder Handelsstrukturen auf sie wirken, vor allem jedoch über den Fermentationsprozess. Aber dazu später.

Dass nicht nur Baş und Schallberger, sondern ganze Branchen über die Analogie von Wein und Kaffee nachdenken, liegt primär am Siegeszug der sogenannten Spezialitätenkaffees. Für diese kommen nur einwandfreie Bohnen von der Farm zum Rohkaffeehändler, der die Qualität physikalisch und sensorisch prüft. Der Röster erhält die Wertigkeit der Bohne, ein geschulter Barista sorgt für die optimale Zubereitung. Mit dem Resultat in der Tasse lassen sich Tastings bestreiten, die einer Weindegustation in nichts nachstehen. «Wenn wir Kaffee und Wein vergleichen», sagt Schallberger, «reden wir sinnvollerweise von Spezialitätenkaffee.»

Erste Ähnlichkeiten liegen auf der Hand: Beide sind Genussmittel und Naturprodukte, bei denen das Terroir eine tragende Rolle spielt und von denen diverse Varietäten existieren. «Wir wissen eine Menge über Cabernet, Merlot und Chardonnay, aber nur wenig über die Kaffeesorten», sagt dazu Baş und führt die lange Tradition des Weinbaus in Europa an. «Wir wachsen in einer Gesellschaft auf, die dem Wein nahesteht. Entsprechend gehört es zumindest in der gehobenen Gastronomie zum guten Ton, einen Sommelier einzustellen, der dem Produkt gebührend Aufmerksamkeit schenkt.»

Dazu kommen kurze Lieferketten: Oft verkauft der Winzer sein Produkt direkt, und selbst in der Massenproduktion, für die der Wein in Containern transportiert und erst am Verkaufsort abgefüllt wird, profitiert man vom Image der Nahbarkeit. Kaffee aber stammt von weither, wird überwiegend in Schwellen- oder Entwicklungsländern kultiviert, ist kaum fassbar. Über 20 Millionen Kleinbauern verkaufen ihre Früchte ohne Bezug zum Endprodukt. «Eine personifizierte Herkunft gibts da nicht», sagt Schallberger. Immerhin: Mit dem Spezialitätenkaffee kam etwas Schwung in die Chose, ein Koffeinboost nach langen schläfrigen Jahren. Seit sich der Begriff über die Kafi-Nerds hinaus eingebürgert hat, loben auch immer mehr Kaffeeverkäufer Herkunft und Varietät ihres Produkts aus.

Schallberger findet, dass die Branche beim Marketing oft auf eine falsche Karte setzt: «Sie kommuniziert die Entwicklungsseite, betont Fair Trade und Bio, ohne ein Wort über die Qualität zu verlieren», sagt er. Die Basler Kaffeemacher, zu denen er gehört, beschreiten einen anderen Weg. Sie besitzen eine Farm in Nicaragua und decken die Kette vom Kultivieren der Pflanze bis zum Rösten ab. «Wir können die Geschichte der Herkunft also erzählen. Aber wir wollen unseren Kaffee über die Qualität positionieren.» Vorbild ist erneut der Wein. Bei dessen Einordnung zählt in erster Linie die Güte: gemessen etwa in Parker-Punkten, nicht in Labels. «Wenn wir wollen, dass die Gesellschaft Kaffee als so hochwertiges Genussmittel wie Wein anerkennt, müssen wir anfangen, über Qualität zu reden: Er muss gut schmecken», bringt es Schallberger auf den Punkt.

Und da wären wir beim liebsten Thema der beiden Profis für Trinkkultur: der Qualität respektive damit verbunden dem Fermentationsprozess, der den Charakter von Wein und Kaffee prägt. Tatsächlich weiss man exakt, wie sich ein Wein mittels Fermentation lenken lässt. Was jedoch passiert, wenn die entpulpten Kaffeefrüchte im Wasserbad liegen? «Das ist leider nicht so klar», sagt Schallberger. Fakt ist: 99 Prozent der Kaffees vergären spontan, während fast alle Weine mit zugegebener Hefe gesteuert fermentieren. «Die Kaffeebranche ist sich kaum bewusst, welches Potenzial in diesem Schritt steckt, dass man damit wirklich am Geschmack des Endprodukts schrauben kann», bedauert der Röster.

Im Gegenteil: Weil die Vergärung Risiken birgt und die Ware futsch ist, wenns schiefgeht, verlieren die Produzenten keine Zeit. Und da sie auf ihren Farmen an der frischen Luft arbeiten – und nicht wie die Winzer in geschlossenen, hygienischen Umgebungen –, kommen zig unkontrollierbare Einflüsse zusammen, und Defekte sind an der Tagesordnung. Schallberger ist sicher: «Die Kaffee- können von den Weinproduzenten noch viel lernen, was Hygiene und Standards betrifft – aber auch in Sachen Forschung und Dokumentation.» Er wünscht sich, dass sich die unter Winzern verbreitete Experimentierfreude beim Fermentieren auch unter den Kaffeeherstellern etabliert. Baş unterstützt ihn: «Die Gärung ist ein Prozess, der viel Spielraum lässt. Im Weinbereich wird daran intensiv getüftelt, das ist spannend. Wenn auch die Kaffeebranche eigene Resultate liefern würde, könnten wir alle voneinander lernen.»

Um den Stellenwert von Kaffee zu heben, braucht es also nicht nur die Offenheit des Konsumenten, sich von der Routine zu lösen und auf Experimente einzulassen, sondern auch den Mut des Produzenten, Risiken zu wagen und an den Resultaten zu feilen. Bleiben die Gastronomen, die als Vermittler zwischen Gast und Produkt fungieren und in einer Schlüsselposition sitzen, um das Kaffee-Image zu polieren. Vielleicht mit einer separaten Karte? Weinprofi Baş mag die Idee: «Das wäre spannend», sagt sie. «In einem ersten Schritt bräuchte es im Restaurant aber eine Kaffeeauswahl.» Konzepte wie die fast schon unanständig erfolgreichen Bars des Eglisauer Rösters Vicafe oder das Coffee von Barista-Aushängeschild Shem Leupin machens vor: Der Gast kann sich für die Hausmischung, eine Provenienz oder eine Brühmethode entscheiden.

Auch in der gehobenen Gastronomie tut sich was. «Wir kennen das ja», feixt Schallberger zwar, «es gibt tolles Essen und wunderbaren Wein, aber am Ende kommt ein mittelmässiger Espresso.» Er spricht aber auch von «einer Reihe junger kaffeeaffiner Topgastronomen», die es mittlerweile gebe. Ein gutes Beispiel: Im 7132 Silver lässt Gault & Millaus aktueller Aufsteiger des Jahres Sven Wassmer Filterkaffee ausschenken. Richtig guten, wie es in Rösterkreisen heisst. Angetan sind Baş und Schallberger von der Idee, in der Gourmetgastronomie vorhandenes Können auszuweiten: Im Prinzip verfügt jeder Wein-Sommelier über das Rüstzeug, um einen Kaffee zu bewerten. «Der weiss ja, wie man degustiert und die Nase einsetzt», sagt Baş, «da brauchts nicht mehr viel, um ihn auf Kaffee zu schulen.»

Bei all den visionären Betrachtungen bleibt für Schallberger das Setting entscheidend. «Im Landgasthof Bären ist eine gute Rösti wichtiger als eine ausgefeilte Wein- oder Kaffeekarte», sagt er. Dem gegenüber stehen die jüngsten Pläne von Cafetiersuisse. Der Verband lancierte nämlich kürzlich den Lehrgang Kaffee-Sommelier und legt den Fokus dabei explizit auf Generalisten. Café-, Bäckerei- oder Barbetreiber und Wirte sollen im Kurs lernen, wie sie ein für ihren Betrieb geeignetes Kaffeekonzept auf die Beine stellen, wie Präsident Hans-Peter Oettli erklärt (siehe Nachgefragt). Das Angebot ist als Gegenpol, als Ergänzung zur freaky Barista-Bewegung gedacht. Das Ziel indes eint sie alle: Die Kaffeequalität in der Schweizer Gastronomie soll steigen.

Die Weinkennerin
Als Inhaberin der Marken- und Marketingberatungsfirma Wine Art ist Şeyma Baş genau die richtige Ansprechperson, wenns um Wein geht. Die Türkin mit Wohnsitz in Zürich hat einen Abschluss im Chemieingenieurswesen und einen MBA mit Schwerpunkt Luxury Brands, Food and Wine im Sack und erarbeitet sich gerade den Master of Wine. Sie besitzt zudem die nötige Neugier, nicht nur ins Glas, sondern darüber hinauszuschauen und beschäftigt sich intensiv mit den Parallelen und Unterschieden in der Kaffee- und Weinherstellung.
www.wine-art.co
www.dionysianimpulse.net

Der Kaffeeprofi
Philipp Schallberger ist ein Kaffeemensch durch und durch. Der Enkel eines Winzers aus dem Klettgau ist in der Barista-Szene nicht nur als zweifacher Schweizer Meister, sondern auch als unermüdlicher Sensorikjuror bestens bekannt. Der Röster ist bei der Delica AG in der Forschung und Entwicklung tätig und gehört seit 2013 zum Team der Basler Kaffeemacher mit Sitz in Münchenstein. Gemeinsam mit Initiator Benjamin Hohlmann gründete er die Private-Label-Rösterei «in the name of» und ist für die firmeneigene Finca Santa Rita in Nicaragua mitverantwortlich.
www.kaffeemacher.ch

Workshop zum Thema
Unter dem Titel «Microbes at work – Fermentation in Coffee and Wine» führen Şeyma Baş und Philipp Schallberger einen Workshop für Wein- und Kaffeeliebhaber durch. Sie thematisieren, was die beiden Genussmittel verbindet, was während dem für beide elementaren Fermentationsprozess passiert und wie sich der Vorgang nützen lässt, um Geschmäcker zu steuern. Der Workshop (in Deutsch und Englisch) findet am Samstag, 27. Oktober 2018, an der Kaffeemacher-Akademie in Münchenstein statt. Anmeldungen sind online ab Mai möglich.
www.kaffeemacher.ch

Kultiviertes Trinken?
Ein gewaltiger Unterschied zwischen Kaffee und Wein ist der gesellschaftliche Stellenwert. Während Kaffee primär dem lapidaren Koffeinkick dient, betonen Weintrinker gern den Genussmoment. Zwar wird ganz viel Wein des Rauschs wegen getrunken – aber das gibt kaum einer zu. «Dafür hat Wein ein zu gehobenes Image», sagt Seyma Bas.Eine weitere Differenz ortet Philipp Schallberger im sozialen Kontext: «Kaffee ist ein sehr intimes Getränk», sagt er. «Man startet damit gern in den Tag, allein.» Der rituelle Charakter und die Routine grenzen den kreativen Spielraum ein: «Viele glauben, genau zu wissen, was für sie gut ist, und sind nicht offen für Neues.»

Nachgefragt bei Hans-Peter Oettli, Präsident Cafetiersuisse

«Ausbildung an der Basis»


Der Cafetier-Verband lanciert dieses Jahr den Lehrgang zum Kaffee-Sommelier. Hand aufs Herz: Warum braucht es den?
Hans-Peter Oettli: Weil wir, also der Verband in Zusammenarbeit mit der Röster-Gilde, der Meinung sind, dass wir die Kaffeequalität in der Schweizer Gastronomie verbessern müssen.

Stehts um die denn so schlecht?
Nein, das nicht. Aber mit den Kapselsystemen hat die Kaffeequalität im privaten Bereich ein recht hohes Niveau erreicht. Dieses muss der Gastronom heute mindestens liefern können – und da herrscht durchaus Ausbildungsbedarf. Anders als die Barista-Bewegung wollen sie mit dem Kaffee-Sommelier keine Spezialisten, sondern Generalisten formen.

Was heisst das?
Wir streben eine Ausbildung an der Basis an. In unserem Lehrgang zeigen wir dem Gastroprofi in einem ersten Schritt auf, wie er überhaupt herausfindet, welche Bedürfnisse seine Gäste konkret haben und welche Lösung zu seinem Betrieb passt. Er weiss nachher, warum er einen Vollautomaten braucht – oder eben eine Handkolbenmaschine. 

Nun ist der Sommelier-Begriff ja stark mit Wein und Themen wie Sensorik und Qualität verknüpft. Ist da der Name Ihres Kurses nicht etwas irreführend?
Nein. Denn selbstverständlich weiss der Kaffee-Sommelier auch über Sorten, Provenienzen und aromatische Charakteristiken Bescheid. Er kann Fehlentwicklungen feststellen und seinem Gast ganz genau erzählen, welchen Kaffee er warum ausschenkt. Die Frage der Kaffeequalität ist sowieso elementar.

Inwiefern?
Weil die Qualitätsdiskussion beim Kaffee stärker stattfinden muss. Die Heissgetränkesparte ist die rentabelste in der Gastronomie. Der Kilopreis von Kaffee hat dabei einen minimalen Einfluss auf den Endpreis für den Konsumenten, spielt also eigentlich kaum eine Rolle. Umso wichtiger ist es, den Fokus auf die Qualität zu legen. Denn die macht den Unterschied.

2018 starten Sie den Lehrgang mit einem Probelauf. Was erhoffen Sie sich davon?
Wir möchten Erkenntnisse darüber gewinnen, was funktioniert, was es braucht, was erwünscht ist. Die Feedbacks der sechs bis acht Teilnehmer des Prototypenkurses werden in die finale Ausgestaltung der sechstägigen Ausbildung einfliessen, die wir dann ab 2019 durchführen wollen. Zuerst müssen wir nun aber die Daten für den Probelauf festlegen. Sobald wir diese haben, können sich interessierte Gastroprofis auf unserer Website dafür anmelden.

www.cafetier.ch



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